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Metzlers Kunsthistoriker-Lexikon

Wer sich über deutschsprachige Kunsthistoriker und ihr Werk informieren wc' ‚ hatte es bisher nicht leicht. Sicher: Es gab Udo 'Kultermanns "Geschichte der Kunstgeschichte", und Heinrich DilIy hatte über "Deutsche Kunsthistoriker 1933 - 1945" geforscht, aber ein Lexikon der prominenten und wissenschaftsgeschichtlich hervorragenen Kunsthistoriker gab es nicht. Nun liegen 200 Lebensläufe aus Forschung, Lehre, Denkmalpflege, Museum und Publizistik vor. Wir erfahren konzise Werk und Werdegang der Wissenschaftstheoretiker, heißen sie nun Winkkelmann oder Rumohr, Warburg oder Panofsky. Wir lernen Museumsleute und Ausstellungsmacher großen Formats von Hugo von Tschudi bis hin zur Moderne kennen. (Warum eigentlich fehlt der "Vater der documenta" Arnold Bode?) Kunstgeschichte wird hier keineswegs ideologisch verengt. Die Marxisten Antal und Hauser finden ebenso ihre Würdigung wie die Konservativen der Nachkriegszeit allen voran Hans Sedlmayr. Selbst ein kaum mehr zur Fachdisziplin zu rechnender NS-Kunstpropagandist wie K. K. Eberlein wird ausführlich vorgestellt, obwohl dessen Schriften allenfalls dazu geeignet sind, den Einbruch der Ideologie in das zur Propagandamaschine degenerierte Fach im Nazi-Deutschland zu dokumentieren. Auch die ideologische Grauzone zwischen Sympathie und Mitläufertum bei Hubert Schrade, Dagobert Frey und Wilhelm Pinder wird deutlich ausgeleuchtet, zumeist zu Ungunsten der Betreffenden.
Die vorangegangenen Generationen zeigen das Fach auf der anerkannten Höhe der Zeit: Heinse, Forster, Goethes "Kunst-Meyer", die Schlegels oder Wackenroder formieren eine deutschsprachige Kunstkritik und Deskription, die in der Folgegeneration (Passavant, Kugler, Waagen) wissenschaftlich unterfangen wird. Neugier weckt die Biographie des "Rembrandt-Entdeckers" Eduard Kolloff, ein Schemen bisher, die auch hier, wie es bescheiden heißt, "kaum wissenschaftlich zu rekonstruieren ist", aber in seinem bisher schillernden Lebenslauf nun feste Konturen gewinnt: Kein jungdeutscher Literat bloß.. Immerhin wurde er Direktor der Bibliothèque Nationale in Paris, von wo Wilhelm von Bode ihn nach Berlin abzuwerben hoffte.
Die gründerzeitlichen Großleistungen des Faches kommen zu ihrem Recht. Auch Kunstkritiker wie Friedrich Pecht oder Großfeuilletonisten wie Richard Muther werden ausführlich dargstellt. Und einer der im deutschen Sprachraum sicher meistzitierten Kollegen, jener Ulrich Thieme nämlich, dem wir alle soviel faktisches Wissen danken, rückt als Kärrner der Innung ins verdiente Rampenlicht. Die Wiener Schule und die Warburg-Schule werden angemessen repräsentiert, ihnen tritt die norddeutsche Strukturanalyse eines Willi Drost oder Karl von Lorck an die Seite, heute vergessen, einst ein kunsthistorischer Ableger von Diltheys und Sprangers psychologischem Versuch, das Werk als "Analogon des menschlichen Wirkens und Seins" aufzufassen.
Ob der Hinweis auf Hubert Schraders wichtige Riemenschneider-Forschungen jegliche Nennung des bedeutendsten Riemenschneider-Forschers Justus Bier (er emigrierte) verzichtbar macht, wie geschehen, ob Rudolf Arnheim oder Alexander Dorner fehlen dürfen, wo Gottfried Kinkel oder Karl-Heinz Clasen erscheinen. Wer will das entscheiden? Meine beiden Doktorväter jedenfalls habe ich so dargestellt gefunden, wie ich es erwartet hatte: Otto von Simsons Lebenswerk als „eine Reihe von Standardwerken“ und einen Lebenslauf der ihn „zum selbstverständlichen Umgang mit Kunstwerken prädestinierte“, dabei Berlin zutiefst verbunden: „Unter den während der NS-Zeit emigrierten Kunsthistorikern nahezu der einzige, der sich zu dauerhafter Rückkehr entschloß", und Peter Bloch als uneigennützig streitbar für die Berliner Museen und zutiefst engagiert für das Fach und die Studenten. "Noch auf dem Krankenbett nahm er die letzten Doktorprüfungen ab." Ich kann es bestätigen.
Sympathisch berührt es, daß auch Kunsthistoriker Aufnahme finden, die nicht zu den etablierten Größen des Faches gehörten, wie etwa der in den USA unter bescheidensten Umständen die "Revolutionsarchitektur" erforschende Emil Kaufmann, der nach der Promotion als Bankangestellter arbeitete, oder der zeitlebens als Querdenker produktive Max Raphael, der einst selbstbewußt propagiert hatte, "daß eine Kunstgeschichte als Wissenschaft überhaupt nicht existiert."
Das Werk, das nur bereits verstorbene Kunstwissenschaftler verzeichnet, endet bei Max Imdahl oder Martin Gosebruch, also im Geburtsjahrzehnt der zwanziger Jahre. Jüngere Kunsthistoriker, die bereits verstorben sind, werden bei einer hoffentlich bald erforderlichen Neuauflage sicherlich berücksichtigt werden. Es lassen sich Entdeckungen machen. Wer schon kennt Jacob von Falke oder Wolfgang Kaflab? Eine Entdeckung aber erspart uns das Buch leider fast, nämlich diejenige, daß es auch eine ganze Reihe bedeutender Kunsthistorikerinnen gab: Angefangen bei Rosa Schapire (Promotion 1904! Vielleicht als erste Frau.), der Entdeckerin Noldes und Protektorin der "Brücke"-Maler, über die pionierhaft frühe Gartenhistorikern Marie-Louise Gothein bis hin zu Margarete Kühn, Direktorin der Schlösser und Gärten in Berlin, allesamt mir zufällig einfallende Wissenschaftlerinnen, die aufgenommen hätten werden müssen. Einzig Renate Wagner-Rieger wurde der Aufnahme gewürdigt.
Andere bedenkenswerte Fakten vermittelt das Buch ganz nebenbei. Um das Sozialprestige des Berufes scheint es nicht zum Besten zu stehen, wenn man erstaunt liest, daß Fritz Löffler der einzige neuere deutsche Kunsthistoriker ist, dem eine Straßenbenennung zuteil wurde, - natürlich in Dresden. Warum hat Hannover keine Panofsky-Straße ? Hamburg besitzt immerhin eine Warburgstraße, die aber gilt wohl eher den Bankiers in der Familie? Dieser erstaunliche Sachverhalt ist allerdings inzwischen wenigstens durch ein Beispiel überholt: Berlin hat in Dahlem eine Otto-von-Simson-Straße benannt, in schöner Ergänzung zum Simsonweg beim Reichstag, der dem Urgroßvater Eduard von Simson, Präsident der Frankfurter Nationalversammlung, galt und gilt.
Die überwältigende Fülle bio- und bibliographischer Fakten, die von nur fiinf Autoren/innen geleistet wurde, macht aus diesem Kompendium eine Fundgrube. Man kann es als Nachschlagewerk benutzen, man kann gezielt "seinen" Kunsthistoriker nachlesen. Man kann wahllos hineingreifen und wird wissenschaftsgeschichtlich belohnt. Ich werde dies oft tun. 4.11.2004
Jörg Deuter
Betthausen, Peter /Feist, Peter H /Fork, Christiane: Metzler Kunsthistoriker Lexikon. 200 Porträts deutschsprachiger Autoren aus vier Jahrhunderten. Beitr. v. Rührdanz, Karin /Zimmer, Jürgen. XVII, 523 S.. Gb Metzler, Stuttgart 1999. EUR2 4,95
ISBN 3-476-01535-1
 
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