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Menashe Kadishman

Der israelische Künstler Menashe Kadishman
Auf dem Katalog zu der Ausstellung „Moledet Motherland“ ist Menashe Kadishman mit einem Esel vor der alten Stadtmauer in Jerusalem zu sehen. Ein sympathisches Tier, das der Künstler offenbar ins Herz geschlossen hat. Er umarmt den Esel und schaut fürsorglich auf ihn herab.
Esel tauchen immer wieder auf im Werk des bekannten israelischen Künstlers, den Pierry Restany im Katalog der Galerie im Prediger in Schwäbisch Gmünd beinahe als biblischen Charakter beschreibt: „Ein vergnügter, beleibter Beduine, geboren aus ewigem Nomadentum ... Tunika, Sandalen, Beutel: Seine Kleidung scheint aus den Tiefen der Zeit zu kommen.“
Aus den Tiefen der Zeit, tief aus der Geschichte Israels stammt auch die Kunst des 1932 in Tel Aviv geborenen Kadishman, der in Deutschland vor allem durch seine große Arbeit im Jüdischen Museum in Berlin bekannt geworden ist - 10 000 Eisenscheiben verschiedener Größe, die alle ein schreiendes Gesicht zeigen. Aus der Einfachheit des Materials entwickelt sich seine Sprache - seit jeher sind Blechplatten Kadishmans bevorzugter Werkstoff, aus denen er seine Formen schneidet.
Immer wieder haben Tierdarstellungen eine zentrale Position im Schaffen Kadishmans. Vielleicht ein besonderes jüdisches Erbe in seiner Kunst - wie die Menschen sind seine Tiere Geschöpfe Gottes. Für die Biennale in Venedig fertigte der ehemalige Kibbuz-Schafhirte im Jahr 1978 eine ganze Schafherde, als Zeichen der Kreatur, die Schutz bedarf. Doch noch wichtiger in dieser Bildwelt ist der Esel. Seit Jahrzehnten taucht er immer wieder auf, in Zeichnungen, Grafiken, Kleinplastik und großen Arbeiten im öffentlichen Raum.
Kadishmans Tierwelt ist oft lebensfroh und vital, doch fast nie friedlich. Er zeichnet keine Idylle: Die Opferung Isaaks ist ein immer wiederkehrender Topos in seinem Werk - Gewalt, Opfer, Leid, Tod und Vergänglichkeit sind zum Lebensthema des Künstlers geworden, wie Kadishman selbst schreibt: „Ein Esel steht auf einem Hügel und betrachtet das kleine Land, das Land Israel. Er trägt in seinem Leib das Schicksal des Volkes, die Schmerzen und das Blut derer, die zwischen dem Meer und den Bergen, den Felsen, den Dornen und der Wüste leben. Er hebt den Kopf, als ob er fragen wollte: Warum ist es so - sie ziehen hier Kinder wie Blumen auf und dann legen sie Blumen auf ihre Gräber?“
Der Esel, das ist Kadishmans stiller Beobachter. Er ist nicht dumm oder störrisch, er ist zäh und aufmerksam, friedfertig und geduldig. In gewisser Weise symbolisiert der Esel bei Kadishman die Geschichte seiner Heimat, seines „Mutterlandes“, wie das Katalogbuch zur Ausstellung in Schwäbisch Gmünd heisst.
Die Kunst von Menashe Kadishman rührt an das Herz des Betrachters - und sie tut das, indem sie dem Gegenständlichen immer verhaftet bleibt. Indem sie, wie Hans-Albert Gunk im Katalog schreibt, die Sphären der Freude und des Leids zusammenbringt: „Jüdisches, biblisches Lebensgefühl kennt immer beides ineinander verschlungen: die Lust am Leben und die hintergründige Melancholie: immer - mit den Worten Ijobs - damit zu rechnen: der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen.“
Kadishmans Figuren und Symbole aus rostigem, patiniertem Stahlblech gehen von einfachen, verständlichen Grundformen aus, sie gießen ihr Gefühlsleben in eine leicht dechiffrierbare Sprache. Es sind immer wieder die gleichen Formen, die der Bildhauer als Kürzel variiert: Die Tiere, das schmerzverzerrte Gesicht, die Wüstenlandschaft, die Palme, die Mutter oder das Kind. Und im Zentrum dieser skulpturalen Bildwelt immer wieder der Esel, in dessen Bauch sich die Einzelmotive, das Gute wie das Schlechte, für alle sichtbar wiederholen. Der Esel, meinte Kadishman einmal, sei stets schwanger mit einem Traum. Bei Kadishman ist das Tier - in der jüdischen Ikonografie das Reittier des Messias - zum Symbol der Heimat selbst geworden.
11.11.2003
Marc Peschke
Menashe Kadishman: Moledet Motherland. Katalog. 80 S. 44 fb Abb. Br. Museum und Galerie im Prediger, Schwäbisch Gmünd 2003. EUR 16,-
ISBN 3-9807297-8-8
 
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