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Fake - oder die Kunst der Fälschung

Dass ein ästhetisch erzeugtes Lügen - oder eleganter formuliert: ein Entzug von als sicher geglaubten Wahrheiten - heute in Kunst und Literatur nach wie vor Karriere macht, hat uns jüngst Umberto Eco mit seinem Roman Baudolino wieder einmal mehr verdeutlicht. Eine ähnliche Strategie ist auch im Museum seit mehr als 20 Jahren bereits gut erprobt. Was geschieht eigentlich in dem Augenblick, in dem in einem öffentlichen Raum eine offensichtliche "Fälschung", ein mehr oder weniger fiktives Zitat, ein Nachbild eines Vorbildes, ausgestellt wird? Mit dieser nur scheinbar simplen Fragestellung beschäftigt sich Stefan Römers Arbeit, die eine zentrale Problematik der Avantgardekunst der 70er und 80er Jahre in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit darstellt: es geht um den Fake - ein "kunststrategisches" Verfahren, das die Beziehung zwischen Original und Fälschung um eine neue, offene Bestimmung erweitert.
Römers Ausgangsfrage läßt sich, kurz gesagt, so beantworten: ein öffentlich ausgestellter und bewußt konzipierter Fake, der mit der "Aneignung fremden Bildmaterials" (auch so läßt sich eine "Fälschung" umschreiben) spielt und diese als eine reflektierte Form einer ästhetischen Inszenierung darstellt, untergräbt das traditionelle Konzept eines auratisch wirkenden Originals. Und, damit zusammenhängend: diese Subversion des traditionellen Werkbegriffs zieht auch die Rolle eines Künstlers in Mitleidenschaft. Beschränkt sich der Urheber eines Fake auf einen minimalen Eingriff - etwa auf einen demonstrativ gemeinten Bildtitel ( Sherrie Levine fotografierte in den 80er Jahren ausdrücklich eine mit After Walker Evans betitelte Serie) - so wird hiermit tendenziell auch die Kreativität des Künstlers auf ein Mindestmaß begrenzt. An die Stelle des Originals tritt mit dem Fake ein minimal verfremdendes, zitierendes Format, eine von einem Vorbild sich unterscheidende Inszenierung, auf die - selbst unsichtbar - Bezug genommen wird. Ein Fake präsentiert sozusagen eine Abweichung von einem früheren Original.
Römer stellt nun die Hauptvertreter dieser künstlerischen Strategien vor, die mit teils vordergründigen, teils hochgradig reflektierten Fakes in den letzten drei Jahrzehnten auf sich aufmerksam machten: Sherrie Levine, die mit ihrer Serie "After Walker Evans" für Furore sorgte, Richard Prince, der die plakativen Mythen amerikanischer Werbefotografie "refotografierte", Louise Lawler, die komplexe Bildarrangements fremder Kunstwerke in Museumsräumen dokumentiert, um den Inszenierungschrakter zu reflektieren und auch Peter Weibel, der in die Rolle fiktiver Künstler schlüpfend, die Strategie des Fakes wiederum zu "übertrumpfen" versucht.
Im Falle von Weibel macht Römer deutlich, dass die "Appropiation Art", wie dieses Verfahren auch etikettiert wurde, ihrerseits an Grenzen stoßen mußte. Weibel werte, so Römer, trotz seiner Strategie des parodistischen Aneignens von Vorbildern insgeheim seine Identität des Künstlers wieder auf; seine Kommentare schwanken, so Römer, zwischen Distanzierung und Selbstaufwertung.
Gerade durch diese am Beispiel von Weibel herausgearbeiteten Selbstwidersprüche wird die Problematik des Fakes als konzeptuellem Verfahren von Römer überaus deutlich gemacht.
Als "konzeptuelle Formation" will Römer den Begriff des Fake am Ende verstanden wissen. Mit diesem Begriff erscheint es ihm möglich zu sein, mit einem Bild im Raum der Institution der Kunst und des Museums auch eine Position außerhalb dieses Raums einnehmen zu können. Das provozierend Irritierende des Fake, das in der eingangs formulierten Frage zum Ausdruck kam, wird auf diese Weise von Römer am Ende selbst zurückgenommen. Eine konzeptuelle Strategie, die sich einmal auf das Spiel mit unsichtbaren, versteckten oder sonstwie markierten "Ähnlichkeiten" eingelassen hat, hat immer Mühe, sich mit ihren eigenen Mitteln aus diesem Spiel wieder zu befreien. Römer sieht mit dem Fake keine "Zitiertechnik" (S. 273) am Werk, sondern eher eine Art "Unterscheidungsinstrumentarium" (ebda.). Ein Fake verschiebt die Beziehung zwischen Original und Zitat, indem es eine Täuschung inszeniert. Ein Fake stellt die Endgültigkeit eines Originals auch dadurch in Frage, indem es eine Beziehung zu seinem eigenen, problematisch gewordenen Rezeptionszusammenhang herstellt. Römers Arbeit ist insgesamt eine intelligent geschriebene Darstellung, die die Geschichte der Appropiation Art zugleich mit der Geschichte ihrer Rezeption sowie einer selbstkritischen Kommentierung aus Sicht des Kunst - und Künstler-Historikers verbindet - eine durchweg überzeugende Darstellung.
21.12.2002
Michael Kröger
Römer, Stefan: Künstlerische Strategien des Fake. Kritik von Original bis Fälschung. 2001. ca. 300 S., ca. 50 Abb. - 21 x 13,5 cm. Kt DEM 49,90
ISBN 3-7701-5532-7
 
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