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Kann ich das auch? - 50 Fragen an die Kunst

Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Dieses endlos zitierte Mantra hat heute ausgedient. Kunst ist heute ein Medium der Selbstaufklärung. Ihre Wahrheit liegt nicht im Auge des Betrachters, sondern in der Fähigkeit Formen für etwas zu finden, die uns näher in Kontakt mit uns selbst bringen. Kunst ist immer so spannend wie die endlos vielen Fragen, die diese auslösen können, wenn wir versuchen, sie besitzen zu wollen. Gleich 50 spezifische "Fragen an die Kunst" hat der Kunstkritiker Kolja Reichert in seinem Band versammelt und die Art und Weise, wie Reichert diese alten und neuen Fragen beantwortet, sind ebenso inspirierend, aufklärerisch und unterhaltsam. Sein Buch, so Reichert in der Einleitung, zeige, "was man alles von der Kunst erwarten kann. Wie man sie kritisieren kann. Und wie man vermeidet, dass man sich, wenn man aus einer Ausstellung kommt, dümmer fühlt als vorher. Reichert verfügt als Journalist über den Vorteil, eine große Menge an Fakten aus dem Betriebssystem Kunst zu verarbeiten; als passionierter Kunstjunkie ist er aber offensichtlich mit allen Mitteln der Kunst dazu fähig, gleich auch unterschiedlichste Lösungen mitzuliefern, deren Probleme er in seinen teils tiefergelegten teils überraschenden Fragen explizit anspricht. "Was ist der Unterschied zwischen einem Kunstwerk und einem Satz?" "Wie frei ist die Kunst?" "Was ist der Unterschied zwischen einem Kunstwerk und einem Auto?" "Wie kriminell ist der Kunstmarkt?" Man merkt Reicherts Buch auf jeder Seite an, dass es mit viel Herzblut geschrieben wurde und versucht seine LeserInnen immer wieder neu "mitzunehmen". Auf sehr vielen seiner Seiten gelingen dem Autor dabei Einsichten, die scheinbar mit leichter Hand verfasst sind aber dafür umso länger im Bewusstsein hängen bleiben. Alleine die smarte Einsicht: "Journalismus macht sichtbar. Kunst sorgt dafür, dass wir sehen können." ist eben doch mehr als ein scheinbar rhetorischer Gag. Was mir an diesem Buch gefällt, ist die Tatsache, dass sich ihr Autor nicht hinter wohlfeilen Theorien und den endlos bekannten Big Names versteckt, sondern die Probleme der Kunst in die Gegenwart und damit in die Zukunft verlängert: "Wie elitär darf Kunst sein?" und Reichert antwortet sich gleich selbst: "Die Frage, wie elitär die Kunst sein darf, klammert völlig die Frage aus, was man sich selbst von der Kunst erwartet". Vermutlich erwarten wir heute als langjährig geübte Kunstfans viel mehr als wir jemals in unserem Leben in der Kunst wiederfinden können. Aber auch das wäre ja nicht das Schlimmste. Doppel-Smiley. Kunstwerke sind eben keine Speicher, die mit Rätseln, Zweifeln und Geheimnissen gefüllt sind - eher so etwas ähnliches wie tiefe Spiegel, an deren Oberfläche tiefere Fragen warten, mit denen wir nie gerechnet hätten. Auch wenn der Neoromantiker Reichert manchmal unsere Erwartungen an Kunst in extremer Weise triggert (und dann notwendigerweise idealisiert), hat mich sein Buch in seinem passionierten und kunst-kritischem Gestus überzeugt. Fazit: ein in fast jeder Hinsicht gelungenes Buch! Man muss ja nicht gleich die Regeln der Welt exklusiv neu erfinden - ein bisschen aber bitte schon ...

16.11.2022
Michael Kröger
Kann ich das auch?. 50 Fragen an die Kunst. Reichert, Kolja. Deutsch. 272. S. 21 x 12,8 cm. Gb. Klett Cotta Verlag, Stuttgart 2022. EUR 20,00.
ISBN 978-3-608-98496-5
 
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