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Unerlaubte Kunst

Kunst im öffentlichen Raum gehört seit den 60er Jahren des XX. Jahrhunderts zu den innovativsten Feldern der gegenwärtigen Kunst und Stadt-Kultur. Kein anderes Gebiet der zeitgenössischen Kultur hat die Kunst derartig intensiv verändert und die Gesellschaft herausgefordert wie Phänomene wie Graffiti, Fluxus, subversive Aktionen und wie heute der politische Aktivismus und die heute erweiterten Kunstaktivitäten, die sich einigen Jahren die Social Media in bis dahin völlig unbekannte neue ästhetisch hybride Räume verwandelt haben. Waren die frühen Graffitisprayer und die Streetart-Artisten noch durchaus darauf aus, die sozialen, moralischen und juristischen Grenzen des öffentlichen Raumes zu testen, so lässt sich erst heute, aus einer weiten historischen Distanz heraus, genauer untersuchen, wie unautorisierte künstlerische Ereignisse und Praktiken das Bewusstsein innerhalb des öffentlichen politischen Raums transformiert haben. Auch wenn inzwischen seit der Jahrtausendwende das Interesse des Publikums wie auch der Kunstwissenschaft an Themen zur Kunst im öffentlichen Raum sprunghaft angestiegen ist, bildete die Fragestellung der „Unautherized Public Art“ ein soziales Feld, indem sich extrem unterschiedliche Fragen, Erwartungen und Probleme zeitgenössischen Kunstbewusstseins überschneiden, sich gegenseitig bedingen und ausschließen. Alle öffentlichkeitsbezogenen Kunstereignisse waren und sind dadurch gemeinsam bestimmt, dass sie den Ort (die Öffentlichkeit), die Zeit (ihre aktuelle, mediale Gegenwart) und ihren spezifischen Modus (den legalen oder illegalen Zugang zu bestimmten Außenräumen) aufnehmen. Zu den großen Vorzügen dieses Buches, das die unautorisierten Praktiken von Künstler-, AktivistInnen und anonym Operierenden erstmals in ihrer Vielfalt und Systematik dokumentiert, gehört es, dass ihr Autor nicht dem Wunsch unterliegt, ein neues Format innerhalb der Kunst zu definieren. Im Gegenteil: es gelingt Helmstetter durch systematische Querschnitte ausgewählter Probleme (und mit Hilfe von 56 relativ guten Farbabbildungen), die Heterogenität und Widersprüchlichkeit von Ereignissen zu verdeutlichen, deren unautorisierter Kunstanspruch ebenso subtil wie auch indirekt, ebenso medial vermittelt als auch direkt die moralischen Grenzen jeweiliger öffentlicher Handlungen aufwirft - ohne sie vorschnell final zu bewerten oder sie kategorial in ein Kunstkorsett einzuengen. Bezeichnend ist, dass der Autor - übrigens ein ehemaliger Street Artist - nicht mehr trennscharf zwischen Werken und Praktiken unterscheiden will und kann. Jedes Ereignis, das den öffentlichen Raum heute herausfordert, benutzt, ihn markiert und wieder erinnert, spielt, ob es will oder nicht, in einem komplexen sozialen, medial und politischen Geflecht von Beziehungen statt, das längst nur noch mit systemischen und funktionalen Kriterien analysiert werden kann. Inwieweit sich dabei der heutige, durch die Autonomie geprägte Kunstbegriff, in neuartige hybride Prozesse verändern wird und dabei etwas wie gegenwärtige Aspekte von Selbstermächtigung, Nachhaltigkeit und einer neuen zeitgemäßen Ethik/Moralität eine Rolle spielen werden, wird unter anderem auch das Publikum - oder konkreter gesagt: die Fangruppen der jeweiligen ästhetischen Communitys - mitentscheiden können. Auch das ist eine Lehre nach der Lektüre dieses in jeder Hinsicht empfehlenswerten Bandes: Mit klassischen, museal geprägten Bildungsansprüchen und durch korrekte Legalität bestimmten Kunsterwartungen ist dem heute hart umkämpften, öffentlichen Raum längst nicht mehr beizukommen ...

02.09.2022
Michael Kröger
Unerlaubte Kunst. Der öffentliche Raum als künstlerische Arena. Helmstetter, Randolf. Deutsch. 274 S. 4 Abb. , 52 fb. Abb. 22,5 x 14,8 cm. Kt. Transcript Verlag, Bielefeld 2022. EUR 42,00. CHF 51,20
ISBN 978-3-8376-6072-2
 
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