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documenta fifteen

Das Handbuch bietet als Nachschlagewerk, Begleiter und innovativer Kunstführer Orientierung für diese umfassenden Prozesse, einen Leitfaden, der vom Kollektiv „ruangrupa“ und seinen Kooperationspartner*innen konzipiert wurde.
Das Handbuch richtet sich ebenso an Besucher*innen der Ausstellung in Kassel wie an Menschen, die sich für kollektive Praxis interessieren.
Ein Kapitel über die Stadt Kassel zeigt und erläutert alle Standorte der Schau, inklusive der entsprechend vertretenen Künstler*innen und Kollektive.

Alle Akteur*innen der documenta fifteen werden mit ihrer Arbeit von internationalen Autor*innen vorgestellt, die mit der jeweiligen künstlerischen Praxis und dem kulturellen Kontext vertraut sind.

Unter dem Titel „lumbung“ führt das Buch in die Denkweise und die kulturellen Hintergründe der documenta fifteen ein und verdeutlicht mit zahlreichen Zeichnungen die künstlerischen Arbeitsprozesse.

Unter dem Leitgedanken „lumbung“ genannt geht es dem indonesischen Kollektiv „ruangrupa“ weniger um Einzelwerke als um Formen gemeinschaftlichen Arbeitens. In den „lumbung-Prozessen“ werden Gäste zu Gastgeber*innen.
Soll heißen, es geht es darum, weitere, sogenannte „Ekosisteme“ (Bahasa-Indonesisch für „Ökosysteme“) herzustellen, wozu auch kein alleiniges Kollektiv in der Lage ist, sondern man eines größeren Kontextes bedarf und weitere „Ekosisteme“, z.B. die „Gudang Sarinah“ Ekosisteme ins Leben gerufen wurden. Diesem Experiment folgte dann noch das „Gudskul Ekosistem“, eine informelle Bildungsplattform. Die documenta fünfzehn stellt also in erster Linie verschiedene Prozesse (der Ekosisteme) dar, so wenigstens habe ich es laut dem Handbuch verstanden.
Die zahllosen neuen Begriffe der vielfältigen „Ekosisteme“ machen das Lesen und Verstehen dieses Handbuches bzw. der documenta fünfzehn ziemlich schwer.
Es ist also eine documenta in ständiger Bewegung, was einen Besuch für wenige Stunden meines Erachtens ziemlich sinnlos macht.
Über die politisch hoch explosiven Vorwürfe antisemitischer Darstellungen verrät das Handbuch wiederum nichts. Das wird wohl nach der Kasseler Ausstellung zu analysieren sein.
Bis zum 25. September ist die documenta fünfzehn noch zu sehen, und einen Besuch sollte man, wenn möglich, wahrnehmen. Das Handbuch für 21.99 Euro empfiehlt sich vorher zu lesen. Dann gibt es weniger Überraschungen…
Eines noch: Das Gendern mit *-chen geht mir beim Lesen und Hören irgendwie auf den Geist…

In den letzten Jahren erleben wir eine beschleunigte Erweiterung des Kunstbegriffs. Im Falle der documenta 15 erweitert sich unser Blick auf die Südhalbkugel unseres Planeten.
Gleichzeitig mit der documenta fünfzehn gibt Europa Benin-Bronzen und andere Raubkunst an den Süden zurück und verweigert zeitgleich den aktuellen Dialog mit der Kunst der ehemaligen Kolonialgebiete. Die Ironie der Geschichte will es, dass wir nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass europäische Hass-Bilder wie die „Judensau“ längst auch im globalen Süden eingewurzelt sind.
Es war der Norden, der derlei Bilder erfunden hat, die bei uns erfolgreich abgeschafft wurden. Wenn „der Süden“ uns diese zurückspiegelt sollten wir sie nicht abhängen, sondern mit dem Süden darüber einen Dialog führen.

Vielleicht wollte die „ruangrupa“ durchaus mit diesen Bildern zu einem Dialog einladen. Das Handbuch zur documenta fünfzehn bietet einen solchen Dialog nicht an, aber…
nutzen Sie die letzten Tage der documenta und halten einen weiteren Dialog wach.

02.09.2022
Gabriele Klempert
documenta fifteen Handbuch. Ruangrupa. Chefredaktion Ruangrupa. Deutsch. 320 S. 150 Abb. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2022. EUR 21,99. CHF 25,49
ISBN 978-3-7757-5351-7
 
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