KunstbuchAnzeiger - Kunst, Architektur, Fotografie, Design Anzeige Verlag Langewiesche Königstein | Blaue Bücher
[Home] [Kunst] [Rezensionen] [Druckansicht]
Themen
Recherche
Service

[zurück]

sachen machen mit Tomas Schmit

Gibt es intellektuelle Comics? Zumindest gibt es nicht wenige Zeitgenossen, die mit Comics und / oder wechselweise mit Intellektuellen Probleme haben. Dass Bildergeschichten belehrend sein können, ist ihnen wohl ebenso suspekt, wie die Vorstellung, dass Kunst unterhaltsam sein könnte. Aber das sind wahrscheinlich die falschen Adjektive – belehrend, unterhaltsam – wenn man die Kunst von Tomas Schmit (1943–2006) beschreiben möchte. Wer ist Tomas Schmit, werden die meisten fragen? Die eigenwillige Schreibweise des Namens verweist auf die Zeiten der Sprachexperimente der Avantgarden, wie es sie auch in den Kreisen Konkreter Poesie der 1960er gab, als man sich zum Beispiel in radikaler Kleinschreibung übte. Tomas Schmit war einer der Stillen unter den Avantgardisten der 1960er Jahre, der dann seinen eigenen Weg ging und Zeichner wurde. Seine ersten Auftritte hatte er mit der Fluxus-Bewegung 1962 und seine bekannteste Performance war die „Aktion ohne Publikum“, bei der er von einem in einem Kreis aufgestellten Eimer zum nächsten Wasser goss, bis keines mehr übrig war, aber nur, wenn keine Zuschauer dabei waren. Waren sie anwesend, verwickelte sie Schmit in Gespräche, so dass der Besucher die Kunst nicht zu sehen bekam. 1965 zog Schmit nach (West-)Berlin und schuf nun mehr oder minder materielle „Pieces“, „Sprachdinge“, Texte und Zeichnungen, die er in den folgenden Jahrzehnten nicht nur in Ausstellungen, sondern auch in mehreren kleinformatigen Publikationen unverwechselbar einem Publikum zugänglich machte, das gleichermaßen an Kunst wie an experimenteller Literatur interessiert war und ist.
Seit seinem frühen Tod wird Schmits Werk von der Berliner Buchhändlerin, Verlegerin und Galeristin Barbara Wien und dem „Tomas Schmit Archiv“ weiter gepflegt und zusammen mit dem Freundeskreis des Künstlers veröffentlicht. Eine endlich angemessene Würdigung fand es jetzt in einer Ausstellung des Berliner Kupferstichkabinetts statt – parallel zeigte der Neue Berliner Kunstverein eine Dokumentation der Fluxus-Aktionen –, die Anfang 2022 zu Ende ging. Es bleibt der Katalog, der endlich in repräsentativer Weise den Zeichner vorführt, der selbst zeitlebens und nicht nur notgedrungen auch publizistisch bescheiden auftrat. Ist der Katalog ein Buch? Er hätte vom Umfang her ein stolzes Hardcover werden können und blieb doch „nur“ ein Katalog in Klappenbroschur. Aber gerade so transportiert sich Schmits Vorstellung vom Zurückhaltenden und Subtilen, das seine eigenen Publikationen prägt. Und zugleich liegen dem Leser die Zeichnungen, auf angenehmen Papier gedruckt in den Händen, als könnte er selbst durch die Papierstapel blättern, die Schmit in unerschöpflicher Phantasie mit Blei- und Buntstiftzeichnungen füllte. Eine schöne Idee ist es, Ausschnitte einzelner Zeichnungen in Originalgröße einzuschießen, so dass dem Betrachter/Leser das Verfertigen der Bilder im denkenden Zeichnen sinnfällig vor Augen tritt.
„zeichnen: wenn jemand stiftspitzen auf papier bewegt und dabei nicht gerade nur buchstaben zu texten aneinanderreiht.“ So charakterisierte Schmit selbst in der typischen radikalen Kleinschreibung in einem programmatischen Text, der im Katalog wieder abgedruckt ist, sein Tun. Die Textbeiträge umkreisen daher auch die Verbindung von Schreiben, Sprache und Bild. Dass die Bilder sich aus dem Tun heraus entwickelt haben und dem Künstler das Zeichenblatt immer eine Art Bühne geblieben ist, zeigt einleitend Jenny Graser vom Berliner Kupferstichkabinett, die das Projekt geleitet hat. Stefan Ripplinger beschäftigt sich mit dem sprachlichen Anteil in Schmits zeichnerischem Werk und die Kunstwissenschaftlerin Annette Tietenberg charakterisiert Schmitts bildnerisch wie gedanklich weit ausgreifendes Denken als eine ganz eigen Art des Netzwerkens. Ein Text der Fluxus-Weggefährtin Dorothy Iannone und ein Interview mit dem frühen Wegbegleiter Kasper König runden die kunsthistorischen Betrachtungen mit persönlichen Eindrücken ab. „Ein Zeichner ist ein Akteur“, sagte Schmit selbst einmal zu seinem Metier. Dieses Buch bietet einen schönen Einstieg in seine ebenso vielschichtigen wie anregenden „Aktivitäten“.

03.03.2022
Andreas Strobl
Tomas Schmit. Sachen m a c h e n: Zeichnung Aktion Sprache 1970–2006. Hrsg.: Jenny Graser. Beitr.: Graser, Jenny; Korbacher, Dagmar; König, Kasper; Ripplinger, Stefan; Tietenberg, Annette; Schmit, Tomas; Iannone, Dorothy. Englisch; Deutsch.272 S. 250 Abb. 29,7 x 22,5 cm. Hatje Cantz Verlag, Köln 2021. EUR 48,00. CHF 55,00
ISBN 978-3-7757-5126-1
 
© 2003 Verlag Langewiesche [Impressum] [Nutzungsbedingungen]