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Afrikas Kampf um seine Kunst

Kaum eine Woche vergeht, in der kein Artikel im Feuilleton über die Frage nach Restitutions- und Rückgabegesuchen von Herkunftsgesellschaften aus ehemaligen europäischen Kolonien die Rede ist. Längst wird der Diskurs um die Provenienz und Herkunft von Objekten offen und kontrovers diskutiert, und doch täuscht man sich, wenn man die hier geführte Debatte für eine neue und moderne der letzten Jahre hält. Geradezu erschreckend mutet der neue Band der vielfach ausgezeichneten und für die europäische Museumswelt regelrecht unbequem gewordenen Kulturwissenschaftlerin Bénédicte Savoy an. In ihrem 2021 bei C. H. Beck erschienen Band präsentiert sie, wie hohe Kulturfunktionäre aus unterschiedlichen europäischen Sammlungen mit Anfragen der dekolonisierten Länder Afrikas in den 1960er und 1970er Jahren umgegangen sind. Viele der dabei vorgeführten Argumente beeinflussen dabei bis heute die Debatte. Zu lange, mahnt die Kulturwissenschaftlerin B. Savoy, haben die Museen, darunter auch deutsche, französische, belgische und britische ihre Sammlungsbestände als gegeben und unhinterfragt besessen und leider, dies ist die traurige Wahrheit, nicht selten auch absichtlich nicht hinterfragt bzw. die Politik und Gesellschaft sogar mit falschen Informationen im Ungewissen belassen. Eines der traurigen Ergebnisse ist dabei, „auch Museen lügen“ (S. 198) und ist auf führende deutsche Museumsdirektoren und -manager, wie etwa Friedrich Kußmaul (1920–2009), Direktor am Lindenmuseum in Stuttgart und den ehemaligen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hans-Georg Wormit (1912–1992) sowie dem Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin Stephan Waetzoldt (1920–2008) gemünzt. Sie alle spielten, wie B. Savoy in diesem aufrüttelnden Werk herausgearbeitet hat, eine wichtige Rolle als Berater der Politik in der aufkommenden Restitutionsdebatte in Deutschland im Zuge der 1960er bis 1980er Jahre und trugen durch ihre Argumentationen und ihre regelrechte Weigerung zur Führung einer offenen Debatte gleichsam zum Abwiegeln jeglicher Gesuche und Anfragen der afrikanischen Parteien. Dabei, dies zeigen die akribischen Archivrecherchen ebenfalls, war man sich durchaus der teils problematischen Erwerbsgeschichten, wie etwa im Falle der berühmten Benin-Bronzen, bewusst. Mit Lügen über die Erwerbshintergründe sowie das Aufbauschen einer theatralischen Szenerie leerer europäischer Museen bei Einlassung auf die Restitutionsdebatte wurde nicht selten ein vernünftiges Gespräch um Konditionen und Möglichkeiten von Leih- und Dauerleihgaben an die afrikanischen Herkunftsländer im Keim erstickt. Letzteren Punkt gilt es dabei besonders zu betonen, denn Kern der Forderungen der 1960er und 1970er Jahre war nie eine Entleerung der europäischen Sammlungen, sondern vielmehr die Bitte um Leih- und Dauerleihgaben einiger weniger Objekte, die für die kulturelle Identität der jeweiligen Länder von besonderer Bedeutung waren. Das Ergebnis dieses vielfach von Museumsdirektoren beschworenen „Gespenstes der Restitution“ führte letztlich dazu, dass man auch von politischer Seite vielfach eher geneigt war einen großen Bogen um diese Debatte zu machen. Umso tragischer mutet der verzweifelte Versuch von Kulturwissenschaftlern aus den Herkunftsländern, wie etwa des Archäologen Ekpo Eyo aus Nigeria oder Amadou Mahtar M`Bow, ab 1974 Generaldirektor der UNESCO, an. Mit Hilfe eines enormen Engagements in den Kommissionen der UNESCO, durch Ausstellungen und Publikationen warben sie stetig um das Verständnis und die Unterstützung in der westlichen Welt. Um Anerkennung der häufig brutalen Umstände, während derer Kulturgüter ihren Ländern entrissen worden waren, die nun in den Museen der Herkunftsländer als wichtige Anschauungsobjekte und solche der kulturellen Identifikation schmerzlich vermisst wurden und werden. Dabei fehlte es auch auf deutscher Seite nicht an Museumsdirektoren wie etwa Herbert Ganslmayer (1937–1991) in Bremen, Politikerinnen wie Hildegard Hamm-Brücher (1921–2016) und Waltraut Ulshöfer, die öffentlich immer wieder für die offene Diskussion um Restitutionen warben. Zwar gelang ihnen durchaus der einseitig geführten Diskussion starke Argumente zu entgegnen, die von den afrikanischen Herkunftsländern sehnlich erwarteten Taten jedoch kamen nur langsam und schleppend in Gang. Es ist nicht zuletzt der bleiern wirkende Mantel des jahrzehntelang geübten Schweigens, der sich heute als Problem für viele der Museen entpuppt. B. Savoy begleitet diese, heute nahezu vollständig vergessene Debatte vom Beginn im Jahre 1965 bis in das Jahr 1985 und beleuchtet dabei schlaglichthaft wichtige und zentrale Stationen wie Zeitungsartikel, Filme, Ausstellungen und international ausgerichtete Kongresse. Mit deutlichem Blick auf die deutschen Protagonisten verweist sie dabei immer wieder auch auf die Um- und Zustände in den europäischen Nachbarländern. Vorwiegend zitiert sie längere Passagen aus den noch erhaltenen Akten und Archiven und lässt somit die Zeitzeugen selbst zu Wort kommen.
B. Savoy weiß mit ihrem Band die Legitimationsrhetorik der ehemaligen Kolonialmächte und die häufig dahinterstehende Perfidie und Verlogenheit zu entlarven und fordert vehement ein Umdenken in der abermals nach fast 50 Jahren angestoßenen Debatte. Dabei fordert sie nicht zuletzt eine „radikale Öffnung der Archive und ihre Digitalisierung“ (S. 199), die nicht zuletzt die nötige Transparenz in der Debatte schaffen würden. So düster das Bild ist, was hier gezeichnet wird, so wichtig mag es als Anstoß für eine neue Herangehensweise verstanden werden, auf den bereits viele Museen reagiert haben. Dabei ist aber ebenso verständlich, dass dieser Prozess, der jahrzehntelang verschleppt wurde, nicht ad-hoc umgesetzt werden kann. Vielfach muss vor allem die Basisarbeit, die Aufarbeitung der Archivalien und die nähere Beschäftigung mit den Herkunftskontexten in den einzelnen Museen erfolgen – gerade auch bei der schieren Masse vieler Bestände – kein leichtes, aber umso wichtigeres Unterfangen.

03.03.2022
Robert Kuhn
Afrikas Kampf um seine Kunst. Ein historisches Lehrstück von unheimlicher Aktualität. Geschichte einer postkolonialen Niederlage. Savoy, Bénédicte. 256 S., 16 Abb. 22 x 14 cm. Gb. C.H. Beck Verlag, München 2021. EUR 24,00
ISBN 978-3-406-76696-1   [C. H. Beck]
 
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