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Als Kunstgeschichte populär wurde

Eine Erfolgsgeschichte des Kunstbuchs

Die Popularisierung der Bildenden Kunst ist eine große Erfolgsgeschichte. Während noch im 19. Jahrhundert die Kunstmuseen vor allem Orte für Gelehrte waren, brachte das 20. Jahrhundert den allmählichen Boom der Kunstmuseen und Kunstvermittlung und den erfolgreichen Slogan „Kunst für Alle“. Der Blick auf die bunte Schar von Besucherinnen und Besuchern in Kunstmuseen zeigte – bis zu den pandemiebedingten Rückschlägen – den nachhaltigen Erfolg dieser Popularisierungsversuche.
Der Abbau der Scheu vor den hehren Kunstwerken geht allerdings nicht nur auf Museumsleiter und Kulturpolitiker wie Alfred Lichtwark oder Hilmar Hoffmann zurück, sondern wesentlich auf die medialen Formen der Popularisierung der Kunst. Die Fernsehserie „100 Meisterwerke“ etwa brachte in den 1980er Jahren einem Millionenpublikum bildgewaltig und allgemeinverständlich Kunstwerke näher und half Hemmschwellen der Kunstbetrachtung erfolgreich und nachhaltig abzubauen.
Das was in jüngerer Vergangenheit das öffentlich-rechtliche Fernsehen übernahm, hatten hundert Jahre zuvor Drucktechniken und Buchreihen übernommen. Die Kunst- und Literaturwissenschaftlerin Friederike Kitschen widmet sich daher zu Recht der Popularisierung der Bildenden Kunst durch illustrierte Kunstbuchserien – und dokumentiert dabei die Entstehung und Verbreitung des Kanons westlicher Kunstgeschichte.
Auch dieser Teil erfolgreicher und nachhaltiger Kunstvermittlung war wesentlich ein mediengeschichtlicher. Seit den 1840er Jahren stand der Weltöffentlichkeit die Fotografie als Abbildungs- und Vermittlungsmedium zur Verfügung. Kitschens Kunstbuchgeschichte setzt daher mit dem „Kunsthistorischen Cyclus“ ein, der seit 1860 von dem Berliner „Photographischen Kunst- und Verlags-Institut“ Gustav Schauer herausgegeben wurde. Während zunächst noch Originalfotografien aufwendig abgezogen und in die illustrierten Werke per Hand eingeklebt werden mussten – was allein schon einen massenhaften Vertrieb unmöglich machte –, entstand der „Boom der Kunstbuchserien“ um 1900, nachdem durch das Meisenbachsche Autotypie-Verfahren Fotografien auf fotochemischem Wege reproduzier- und druckbar geworden waren.
Die Möglichkeit, erstmals Abbildungen zu drucken, die nicht mehr aufwendig einzeln per Hand gestochen oder in die Bücher eingeklebt werden mussten, löste eine mediale Revolution aus, die durchaus mit der Erfindung Gutenbergs oder dem Aufkommen des Fernsehens oder Handys vergleichbar ist: So erschienen von den Knackfuß’schen „Künstler-Monographien“ oder den „Blauen Büchern“ des Verlags Langewiesche mehrere hundert Bände in teilweise sechsstelliger Auflagenhöhe. Abbildungen von Werken Bildender Kunst waren dadurch für bürgerliche Haushalte einfach und preiswert verfügbar geworden, „Volksbücher der Kunst“ oder auch Einführungen in die Gebiete der „Jungen Kunst“ konnten damit Einzug in die Haushalte eines breiten Bildungsbürgertums halten.
Friederike Kitschen dokumentiert diese Entwicklung nicht nur für Deutschland, sondern in vergleichenden monografischen Kapiteln zu einzelnen, besonders markanten oder erfolgreichen Kunstbuchreihen auch für Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, die USA oder Japan. Die Kenntnis vergleichbarer Projekte in diesen Ländern – und deren teils mehr ideologischen, teils eher merkantil orientierten Hintergründe – sind der große Gewinn dieser umfassenden Studie, während leider medien- und technikgeschichtliche Voraussetzungen dieses Booms äußerst erfolgreicher Buchreihen nur wenig Beachtung finden. Die aktuellen Ansätze einer Foto- und Kunstbuchforschung vertieft diese Neuerscheinung daher eher in Hinblick auf die Geschichte der Geschmacks- und Kanonbildung und als Teil einer Geschichte der Kunstgeschichte denn im Sinne einer Mediengeschichte des illustrierten Buches.

03.12.2021
Rainer Stamm
Als Kunstgeschichte populär wurde. Illustrierte Kunstbuchserien 1860–1960 und der Kanon der westlichen Kunst. Kitschen, Friederike . 392 S. 35 Farb- und 236 S/W-Abb. 28,6 x 22 cm . Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 2021. EUR 99,00 .
ISBN 978-3-87157-256-2   [Deutscher Verlag fĂĽr Kunstwissenschaft]
 
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