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Kunstvernichtung. Kunst in Zeiten der Bilder

„Das Bildwissen der westlichen Kultur liegt in ihrer Kunst“ – auch und gerade weil sich heute alle Parameter dieser Ausgangsthese der Autorin nicht bestreiten lassen, entstehen widersprüchliche und äußerst spannende, alte und neue Fragen nach den (historischen Wirkungen von) Bildkulturen und der Art und Weise wie medial gewordene Bilder heute in postmodernen Kunst-, Bild- und Mediendiskursen neu aktualisiert, befragt und – wie nie zuvor in der Geschichte der Bilder – instrumentalisiert werden.

Im Jahr 1963, so die Autorin im 11. Kapitel ihres Buches, ein Jahr nach der Kuba-Krise mitten in der Zeit des kalten Krieges, der Geburtsphase der Pop-Art und den Vorbereitungen zur Landung auf dem Mond, standen die Beziehungen der beiden rivalisierenden Atommächte Frankreich und USA auf einem Tiefpunkt. In dieser Krise wurde ausgerechnet die Superikone westlich-europäischer Malerei, Leonardos Mona Lisa im Januar 1963 in die Washingtoner National Gallery als politische Vermittlerin zu einem Treffen von Politikern beider Länder ausgeliehen und dabei in einen einzigartigen politischen „Bildakt“ verwandelt: Besonders die exzellente und auch heute immer noch beeindruckende Rede des französischen Kulturministers André Malraux dokumentierte, dass in diesem Moment ein „grandioser Akt der Steigerung“ von Mona Lisas Werkcharakter gelungen war: „Keinem anderen Gemälde wurde je die Ehre eines Staatsempfangs zuteil“ und dokumentierte vor den Augen der Weltöffentlichkeit den veränderten Status eines Kunstwerks in einen ästhetischen Akt der politischen Reflexion. Diese relativ unbekannte Episode um Mona Lisas Einsatz auf dem diplomatischen Bankett illustriert sehr anschaulich um was es in diesem Buch der Kieler Professorin letztlich auch geht: um den Wandel des Status des heutigen öffentlichen Bildes, deren Macht und der Wirkung von öffentlich gezeigter Kunst, die „als Bild“ plötzlich zu einem politisch ästhetisch aufgeladenen Bildakt wird und zeigt, wie sich das alte Medium Kunst plötzlich unendlich erweitert hat …

Kunst ist – spätestens mit den Sozialen Bild-Medien seit der Jahrtausendwende – heute eine globale Aufmerksamkeit produzierendes Medium geworden, indem das Wissen über die Macht der Bilder alter Kunst und die neue Verwendung von medialen Bildern der Jetztzeit eine starke Rolle spielt. „Unser Leben findet in und mit Bildern statt.“ (S. 32) Gerade das Leben mit und in digitalisierten Bildwelten hat unser Verhältnis zur Welt, zu unserer Gegenwartserfahrung und zur Veränderung unserer Kunstbegegnung geführt. Die Kunstgeschichte untersucht seit diesem „Iconic Turn“ und der Befragung der Wirkungsweisen von Bildern mehr und mehr die Wechselwirkungen zwischen alter Traditionskunst und einer mit alten Kunstreferenzen spielenden Bildkulturen. Längst geht es heute nicht mehr um Definitionen eines aktuellen zeitbedingten Kunstbegriffs, sondern um die Verknüpfung von zeitlosen Fragen zur Natur und zur psycho-physischen und sozialen Wirkung von Bildern und um die zeitbedingten Aspekte einer Instrumentalisierung von Kunst, in der wie niemals zuvor in der Geschichte, Fragen einer allgemeinen Bildkultur eine Rolle spielen: „Wozu machen wir Bilder und was machen Bilder mit uns?“ (S. 50). Eine Leitfrage des Buches lautet also: „...wozu die in den Kanon der Kunstgeschichte als Kunst aufgenommenen Bilder dienen und was der Beitrag der Kunst ist, aus denen sich Bildkulturen ableiten lassen.“ (S. 51) Das Ziel heutiger BildermacherInnen sei, so die Autorin, „das unter An- und Verwendung vom Kunst gewordenen Bild“ – in sehr unterschiedlichen Kapiteln geht es einerseits um das historische interne „Bildwissen der Kunst“ (etwa um die rhetorische Formel der Dis/simulatio, einer Kunst der Vortäuschung eines Wissens bei dem die Täuschenden einen Glauben an die Macht von Bildern evozieren) sowie vor allem um die weitere zentrale Frage: „Wie reagieren Bilder, die der Kunstbetrieb als Kunst akzeptiert, auf die Bildangebote der Bilderströme …. das gegenwärtige Zeitalter der Bilder ist ein Spiegelkabinett“ (S- 47): Bilder spiegeln Kunst in kunstaffinen und kunstfremden Bildformen und thematisieren dabei nicht selten ironische, instrumentelle Verwendung; gerade auf jenen Bildern, die so aussehen wie Kunst, reagiert das Kunstsystem bekanntlich gerne mit institutionskritischen Intentionen. Das Spektrum des in Kruses Buch (das sich auch gewinnbringend als Geschichte der verschiedenen Bild- und Kunstdiskurse der letzten 20 Jahre lesen lässt) abgehandelten Wissens zwischen Analysen historischer Traditionskunst, einer sich gegenwärtig herausbildenden Bildkulturforschung, die etwa der Wahrheit, Echtheit und dem Fetischcharakter von Fotobildern ebenso nachgeht wie der Frage nach der starken und schwachen Wirkung von Bildern und nicht zuletzt nach der heute hochaktuellen Unterscheidbarkeit von Bild- und Kunstakten demonstriert, dass diese Untersuchung hellwach und sehr gut lesbar am Impuls des heutigen Bilderwissens zwischen Kunsttraditionen und Bildermacht operiert, die Probleme einer in Auflösung befindlichen „reinen“ Kunstgeschichte alten Typs hervorragend reflektiert und ihren Widersprüchen nicht aus dem Weg geht, sondern sie produktiv als weithin offenes Problemfeld darstellt. Ein Kurzresumée dieser in jeder Hinsicht starken Veröffentlichung könnte lauten: Ohne Kunst(traditionen) würden heute keine starken Bilder für eine Gegenwart entstehen, aber mit der zentralen Unterscheidung zwischen Bildern und Kunst haben beide Dimensionen noch immer ungelöste Fragen zu ihrem Dialog zu bearbeiten.

17.01.2021
Michael Kröger
Welterschaffung – Kunstvernichtung.Kruse, Christiane.Deutsch. 326 S. 106 fb. Abb. 24,0 x 17,0 cm.De Gruyter Verlag, Berlin 2020. EUR 39,95.
ISBN 978-3-11-068090-4
 
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