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Spaghetti al pomodoro

Etwas Zauberhaftes umweht dieses Gericht, dass wohl nicht nur ein Lächeln in die meisten Kindergesichter weltweit bringt, sondern auch für die meisten Erwachsenen als Inbegriff der italienischen Lebensqualität gilt: Ein gutgefüllter Teller Pasta mit Tomatensoße, wahlweise angerichtet mit Basilikum und natürlich möglichst viel Parmesankäse. Und damit wäre Alles gesagt!? Doch was hat es eigentlich wirklich auf sich mit diesem vermeintlich so alten Traditionsgericht, auf das man vor allem im Süden des Landes so voller Verve bis heute pocht? Dieser Aufgabe hat sich nun ein italienischer Historiker gestellt, der sich seit vielen Jahren mit der europäischen Kulturgeschichte des Essens beschäftigt und in Bologna „Geschichte der Ernährung“ lehrt. 2019 in Italienisch herausgegeben, hat es der kurze Essay in die renommierte Berliner Wagenbach-Reihe SALTO geschafft und kommt somit in Rot gegürtet mit feinen Strichzeichnungen und traditionell fadengeheftet daher.
In 23 kurzen Kapiteln hat sich der Kulturwissenschaftler auf die spannende Reise gemacht und verschiedene Quellen wie etwa alte, längst vergessene Kochbücher aus dem späten Mittelalter, sowie Klassiker zusammengetragen, um der Frage nach dem Mythos dieses Gerichtes und seiner Entwicklung durch die Zeiten in Italien nachzuspüren. Dabei ist auch ihm völlig klar, dass der wahre Ursprung in seiner Totalität wohl nicht herauszuarbeiten ist, und so begibt er sich – ganz im Sinne M. Blochs – auf die Reise, um vor allem die groben Rahmenbedingungen abzustecken.
Am Anfang dieser spannenden Reise räumt er mit langtradierten Gerüchten auf, die Nudel sei eine rein chinesische Erfindung und verdanke ihren Transfer in die europäischen Kochtöpfe allein dem wagemutigen Marco Polo. Wenngleich sich dieses Gerücht hartnäckig in den unterschiedlichen Arbeiten und Kochbüchern bis heute hält, gelingt es Montanari die von Fernost losgelöste Genese der Pasta in der Antike der Mittelmeerwelt aufzuspüren. Hier hat sich vor allem die Herstellung einer Pasta fresca in den frühen mesopotamischen und griechisch-römischen Küchen nachweisen lassen, die nicht zuletzt auch bereits sprachlich zu belegen ist. So finden sich nicht nur Bezeichnungen wie lakhsha und rishta als frühe persische Varianten für nudelartige Beilagen im ehemaligen Sassanidenreich (3.–7. Jh. v. u. Z.), sondern es lässt sich womöglich sogar die Wurzel der Bezeichnung Lasagne bis auf das griechische Láganon zurückführen (S. 31–32). Ein Ideentransfer steht dennoch hinter der geliebten Eierteigspeise – die arabischen Eroberer brachten die Fertigungsmethoden und Rezepte wohl bei ihren Eroberungszügen im Süden Italiens nach Sizilien, wo sich die Speise recht schnell im 9.–11. Jh. bereits großer Beliebtheit erfreute. Mitte des 12. Jh. scheinen beispielsweise bereits richtiggehende spezialisierte Mühlen existiert zu haben, die sich allein mit der Produktion der Pasta befassten. Lange Zeit blieb die Pasta wohl ein „Phänomen“ Süditaliens, was nicht zuletzt sogar zur leicht despektierlichen Bezeichnung „Mangiamaccheroni“ – „Makkaroniesser“ für die Süditaliener – teils für die Bewohner Neapels – führte (S. 38). Spätestens im 16.–17. Jh. jedoch war der Siegeszug der Pasta über ganz Italien kaum aufzuhalten und findet Erwähnung in vielen Kochbüchern.
Das heute vielfach mit Italien verbundene „traditionelle“ Gericht – Pasta mit Tomatensoße – sucht der Leser jedoch in den frühen Kochbüchern vergebens. Montanari spürt daher mit Akribie den einzelnen Zutaten dieses Gerichtes nach. So kann er beispielsweise den Hartkäse – Parmesan – bereits früh als Begleiter der Pasta vom 12./13. Jh. an ausmachen (S. 56). Von Anbeginn der Erfolgsgeschichte gehören diese beiden Zutaten unumstößlich zusammen. Anstelle der Tomatensoße, waren es allerdings eher Butter oder Schmalz, die für die nötigen „sugo“ sorgten. Auch das heute so viel gepriesene „al dente“ sucht man zunächst vergebens – vielmehr wird von exzessiv langen Kochzeiten berichtet – nicht selten 1–2 Stunden.
Die Tomatensoße – aufgrund ihrer Herkunft auch spanische Soße genannt - , Zwiebeln, Knoblauch und Chili finden jedoch erst recht spät – im Zuge des 18./19. Jh. zur Pasta. Das Olivenöl, als Inbegriff der mediterranen Küche schlechthin, findet sogar erst in der 2. Hälfte des 20. Jh. zur Pasta.
M. Montanari gelingt mit diesem kleinen Essay einmal mehr kurzweilig und spannend aus den Küchen seines Landes zu berichten. Dabei nimmt er auch mit einem gewissen Augenzwinkern die teils politisch eingespannten Traditionen – wie eben auch die italienische Küche – in den Blick, um diese etwas zu relativieren und in ihren kulturellen Entwicklungskontext einzuordnen. Der Leser wird auf eine kulinarische Reise geschickt von der er begeistert zurückkehrt um sich sogleich einen vernünftig gefüllten Teller eines tatsächlich sehr alten Traditionsgerichtes zu genehmigen: Pasta mit Butter, Zucker und Zimt! Wer beim Lesen des Buches, die Kochzeit aus dem Blick verliert, muss sich gleichfalls keine Gedanken machen. …
Dieses Buch ist ein Must-read für jeden Italienbegeisterten – ein Buch, das nicht nur inhaltlich, sondern auch haptisch eine Augenweide ist.

23.10.2020
Robert Kuhn
Spaghetti al pomodoro. Kurze Geschichte eines Mythos. Montanari, Massimo. 144 S. 21 x 11 cm. Leinen. Deutsch. Wagenbach Verlag, Berlin 2020. EUR 19,00.
ISBN 978-3-8031-1354-2
 
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