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Ernst Barlach – Die Hölzer

"Die Hölzer - Woodwork": ein kantiger, griffiger Titel für das Begleitbuch zur Ausstellung im Flottbeker Ernst-Barlach-Haus, die anlässlich des 150. Geburtstags des Künstlers plastische, zeichnerische und druckgraphische Werke aus der hauseigenen Sammlung zeigt. Im Zentrum des Bandes stehen Barlachs rund 100 Holzarbeiten, die von Andreas Weiss in großformatigen Fotografien festgehalten wurden; der chronologisch geordnete Bildteil - das Mittel- oder Kernstück des Buches - umfasst allein 260 Seiten: Er reicht buchstäblich von A bis Z, angefangen bei Nr. 1., dem Affen von 1906/1907, am Ende steht der Zweifler von 1937. "Ernst Barlach. Die Hölzer" ist kein Katalog im herkömmlichen Sinne, sondern das Ergebnis eines Forschungs- und Fotoprojekts, allenfalls ist es ein "Festtagsbuch" zum runden Geburtstag eines großen Bildhauers, Graphikers und Dramatikers. Dass für den Künstler die Holzplastiken, jede davon ein individuell geschaffenes Einzelstück!, im Zentrum seiner Arbeit standen, zeigt deutlich der Tafelteil seiner 1928 erschienenen Autobiographie "Ein selbsterzähltes Leben": 66 Tafeln der "Bildwerke in Holz" stehen 17 Tafeln mit Arbeiten in Bronze, Steingut, Porzellan etc. gegenüber. Auf keine Holzart war er festgelegt, er experimentierte gerne mit allen möglichen Sorten, ob weich oder hart, ob heimisch oder tropisch. Nicoline Zornikau von der Hamburger Kunsthalle, die sich der Oberflächenbehandlung der "Hölzer "widmete, betont u.a., dass Barlach für jede Arbeit individuelle künstlerische Entscheidungen traf, sowohl betr. des spezifischen Holzes und dessen Bearbeitung als auch für die Behandlung der Oberflächen: Die meisten seiner "Hölzer" versah er mit Überzügen und nutzte dafür verschiedene Bindemittel und färbende Bestandteile. Gewidmet ist das Festtagsbuch dem "großen Hölzerfreund" Hermann-Hinrich Reemtsma. Dieser hatte 1934 den Asketen von 1925 und im Folgejahr den Fries der Lauschenden (Kernstück der Flottbeker Dauerausstellung) erworben, und diese sollten nicht die letzten Erwerbungen bleiben, schreibt Enkel Bernhard Reemtsma in seinem Vorwort: Schlussendlich überließ Reemtsma 29 Barlach`sche Holzskulpturen dem Ernst-Barlach-Haus im Hamburger Jenischpark: ein wahrer "hölzerner Schatz"! Von seinen Holzskulpturen sprach Barlach gerne von "Puppen" oder auch von "holzgewordenen seelischen Erlebnissen" und empfand sie im Wesentlichen als beseelte Materie. Dass er die christliche Ikonographie der Moderne maßgeblich beeinflusste, mag wohl an dieser Beseeltheit der Figuren liegen; auch dass manche seiner Arbeiten in stark verkleinerten Bronzenachgüssen – wie der Flötenbläser von 1936 – auf den Markt kamen und gerne gekauft wurden und werden, spricht für die Wirkung, die diese auf Menschen ausüben können ...
Ein Buch der Fakten, nah am Objekt, nah an Werkzeug und Material, ist dem Ernst-Barlach-Haus gelungen, so intensiv und akribisch, dass die Interpretation der Werke zwangsläufig zu kurz hat kommen müssen. Dabei sind gerade seine sozialkritischen Werke wie zum Beispiel die Verhüllte Bettlerin von 1919 - mithin nun gut 100 Jahre alt! - gerade deshalb so eindrücklich, weil sie ihr Gesicht verhängt und den Betrachtenden lediglich ihre Hände entgegenhält: Als ob das Gesicht der Armut gar nicht existieren könnte und die menschliche Individualität völlig hinter dem Etikett "ARM" verschwinden würde. Im Lesenden Klosterschüler von 1930 trifft man die Inspiration für Alfred Andersch, der in "Sansibar oder der letzte Grund" (1957) die fiktive Geschichte von der Entführung einer Holzfigur nach Schweden erzählt, weil die Figur von den Nazis als entartet disqualifiziert wird.
Die zwischen 1907 und 1938 verfassten und teilweise illustrierten Bühnenstücke Barlachs ("Der tote Tag" erschien 1912 mit 27 Lithographien) sind aus dem Theaterrepertoire so gut wie verschwunden, in der Ausstellung aber begleiten sie die BesucherInnen mit ihren surreal wirkenden Handlungen und Personen.

Wer nicht gleich das gesamte dramatische Werk des Multitalents Barlach lesen kann oder möchte, für den ist Jackson Groves`s Buch "Ernst Barlach. Leben und Werk", Die Blauen Bücher, eine gute Ergänzung, denn neben Zeichnungen und Fotos bietet es lange Passagen aus Barlachs Briefen und Werken (z.B. aus dem "Russischen Tagebuch", dem Romanfragment "Seespeck", aus "Der tote Tag" inklusive einiger Illustrationen sowie der Autobiographie "Ein erzähltes Leben" u.a.)

04.03.2020
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Naomi Jackson Groves, Ernst Barlach. Leben im Werk. Plastiken, Zeichnungen und Graphiken. Dramen, Prosawerke und Briefe, K. R. Langewiesche Verlag, Königstein im Taunus 2013. 120 S. 120 z. T. fb. Abb, 27 x 21 cm. Gb. EUR 14,80 ISBN 978-3-7845-4154-9

Daniela Maria Ziegler
Ernst Barlach. Die Hölzer - Woodwork. Hrsg.: Ernst Barlach Haus - Stiftung Hermann F. Reemtsma. Engl.; Dtsch. 352 S. 30 x 22 cm. Gb. Kettler Verlag, Hamburg 2020, EUR. 58,00.
ISBN 978-3-86206-795-4
 
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