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Ich will wissen, wieviel Blut von einem Kunstwerk tropft

„Ich will wissen, wieviel Blut von einem Kunstwerk tropft“ (S. 47).
Wo nun hier beginnen? Wo aufhören?

Gedankensplitter zu einer im Mai 2019 vorgetragenen, hier abgedruckten Melange aus fiktiven Pariser Kindheitserinnerungen an Restitutionsforderungen, realen frühen Pariser Museumstagen, späteren Berliner Studentenzeiten, familiärem Berliner Glück, polemischen Bemerkungen über akademisches Unverständnis, ignorante ältliche Politiker und Museumsherren. Widersacher auf dem Weg zu einer von Savoy immer wieder geforderten absoluten Transparenz der Herkunft aller musealen Kulturobjekte aus Frankreichs kolonialafrikanischer Zeit, ihrer Restitution. Warum diese geographische und zeitliche Beschränkung ?

Museale Kulturobjekte sollten, lesen wir, in ihrem Herkunftsland erfahrbar sein, um dort kulturelle Identität stiften zu können. Das ist richtig, doch ist in unserem digitalen Zeitalter ein traditionsstiftender Zugriff auf Kulturobjekte nicht überall und weltweit möglich? Eine etwas schmale Begründung also, über der sich der zeitgeistige Moralismus globalisierter Eliten gegenüber Minderheiten in unserem Zeitalter der Opferideologie zu wölben scheint. Der Exorzismus des Bösen aus der europäischen Kultur-Geschichte? Eine moralische und kulturelle purification der Geschichte zwecks Herstellung eines vermeintlichen Urzustandes?

Fragen auch zu einer hier konstatierten Debatte um 1980, die sich beim genauen Lesen als lediglich zwei oder drei singuläre Fragen nach der Restitution einiger Kulturgüter erweist, nicht jedoch wie 2019 nach der aller. Eine Passage, mit der subkutan zudem eine damalige Verschwörung gegen eine Fortführung dieser, ja nur scheinbaren, Debatte um Restitutionen, vermittelt wird. So kommen auf dem Weg des moralischen Rigorismus, zeitgenössisch nicht ganz unüblich, Savoy die von ihr von anderen geforderten Differenzierungen und Transparenz abhanden. Und dem Rezensenten schon bald jegliche Lust am schließlich doch zweimaligen genauen Lesen dieses Vortrages. Denn wie viele gedankliche Unebenheiten und Engführungen warten da noch?

Der Rezensent hat kapituliert, er tritt ab. Wie Bénédicte Savoy im Sommer 2017, als sie mit einer Aufsehen erregenden Polemik aus dem Beirat des Humboldt-Forums austrat (s. Zitat oben). Daß sie für das Humboldt-Forum nie Begeisterung empfunden hat, kann man gegen Ende ihrer Rede auf Seite 46 nachlesen.
Die Kapitulation scheint berechtigt.

Ausblick. Anders als im deutschen sind im französischen kulturellen Selbstverständnis, nach Aufklärung, der Revolution 1789 und Napoleon, national-hegemonialer und universalistisch-humanitärer Anspruch untrennbar miteinander verbunden. Savoys alleine universalistisch-humanitärer Ansatz ist, unausgesprochen, die Aufkündigung dieser Symbiose. Ob sich diese Sichtweise im kulturellen Selbstverständnis kollektiv und bleibend verankern wird, bleibt abzuwarten.

(Benedictine Savoy ist seit 2003 Professorin für Kunstgeschichte an der Technischen Universität Berlin, seit 2016 zugleich Professorin an der Academie de France, Paris. Von Emmanuel Macron beauftragt, legten sie und der senegalesische Professor für Ökonomie, Felwine Sarr, im November 2018 einen Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter in Frankreich vor. Er erschien im Mai 2018 übersetzt und gekürzt unter dem Titel „Zurückgeben“ bei Matthes & Seitz in Berlin.)

22.10.2019
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Museen. Eine Kindheitserinnerung. Savoy, Bénédicte. 80 S. 21 x 13 cm. Greven Verlag, Köln 2019. EUR 10,00.
ISBN 978-3-7743-0904-3
 
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