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Bauhausmädels

In seiner eigenen Zeitschrift veröffentlichte das Bauhaus 1928 stolz die Statistik: Von 166 Studierenden kamen 37 aus dem Ausland und 45 waren Frauen. Auch bei aller Kritik aus heutiger Sicht, die darauf hinweist, dass viele der Studentinnen schließlich in die Weberei-Klasse komplimentiert wurden, war der hohe Anteil weiblicher Studierender am Bauhaus ein deutliches Bekenntnis zu den freiheitlichen Grundsätzen der Weimarer Republik. An kaum einer anderen deutschen Hochschule dürfte der Anteil der Studentinnen annähernd hoch gewesen sein.
Der in jener Zeit geprägte Begriff vom „Bauhausmädel“ war somit ein Bekenntnis zu Modernität und Gleichberechtigung.
Mit dem Titel „Mädchen wollen etwas lernen“ war 1930 eine Bildreportage der Illustrierten „Die Woche“ über die Ausbildung der Frauen am Bauhaus überschrieben, die den „Typ des Bauhausmädels“ – wissbegierig, zielstrebig, sportlich und mit Kurzhaarfrisur – in Wort und Bild präsentierte. Das „Bauhausmädel“ war zum Prototyp weiblicher Emanzipation geworden, ähnlich wie Jahrzehnte zuvor die sogenannten „Malweiber“, Künstlerinnen, die sich mit dem Ausschluss von den staatlichen Kunstakademien während der Kaiserzeit nicht mehr begnügen wollten, sondern, wie Paula Modersohn-Becker, Ida Gerhardi, Jeanne Mammen und viele andere ihren eigenen Weg suchten.
Dieser Zusammenhang ist – anlässlich des hundertsten Bauhaus-Jubiläums – Grund genug, dem Phänomen des „Bauhausmädels“ eine eigene Publikation zu widmen, die – dreisprachig – den Aufbruch der Bauhaus-Studentinnen in die Moderne dokumentiert. In diesem neuen Buch geht es jedoch nicht um die Werke der Künstlerinnen, sondern um den Phänotyp des „Bauhausmädels“ an sich: Patrick Rösslers Neuerscheinung ist ein Fotobuch mit rund 400 Porträts von 87 Bauhaus-Studentinnen. Nicht alle der Fotografien sind am Bauhaus entstanden, doch alle in die Zeit des Bauhauses, in die Jahre zwischen 1919 und 1933, zu datieren. Die einzigartige Publikation wird damit zu dem Porträt einer Epoche, zur visuellen Enzyklopädie einer faszinierenden und kunst- wie kulturgeschichtlich bedeutenden Ausprägung der „Neuen Frau“. Sie zeigt eine selbstbewusste Generation „junger, risikobereiter und innovativer Frauen“ (S. 48), und den Band zu durchblättern (oder als Nachschlagewerk zu nutzen) ist eine wahre Freude.
Doch zugleich ist der Bildband ein Memorial, ein Denkmal für eine rasch nach der Blüte unterdrückte Epoche der Emanzipation. Diskret weist der Erfurter Kunst- und Medienhistoriker Rössler darauf hin, dass das „Covergirl“ der Reportage von 1930, das strahlende „Bauhausmädel“ Karla Grosch, die von 1928 bis 1932 am Dessauer Bauhaus als Gymnastiklehrerin unterrichtete, 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft emigrieren musste und noch im selben Jahr bei einem Badeunfall vor Tel Aviv starb. Eine weitere Statistik würde zeigen, dass fünf der 87 vorgestellten Bauhäuslerinnen in Auschwitz ermordet wurden.
Der Band mit dem leichtfüßigen Titel ist Bildband, Erinnerungsbuch und Nachschlagewerk in einem: Konsequent und skurril bis zum Register, in dem nur die Namen der Frauen verzeichnet sind; – einmal ohne die zumeist viel bekannteren Namen der männlichen Meister und Kommilitonen.

03.07.2019
Rainer Stamm
Bauhausmädels. A Tribute to Pioneering Women Artists. Rössler, Patrick. Dtsch.; Engl. ; Franz. 480 S. 24 x 17 cm. Gb. Taschen Verlag, Köln 2019. EUR 30,00. CHF 40,00
ISBN 978-3-8365-6353-6
 
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