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die abstrakten. Schlemmer und Bohner. Das Triadische Ballett

„Schlemmers Figurenballett ist –weil abstrakt- unerklärbar“ (Seite 55).
Da sind sie wieder, die Zwanziger Jahre und ihre Visionen. Vom Neuen und vom maschinenähnlichen Menschen, vom Roboter, der erstmals 1920/21 in der deutschen Sprache auftaucht. Nach einer Teilaufführung 1916 in Stuttgart dort 1922 uraufgeführt, ist das Triadische Ballett des Bauhaus-Meisters (1921-1929) Oskar Schlemmer ein Kind dieser Zeit, verbündet mit der zeitgenössisch so aktuellen Eroberung, Geometrisierung des Raumes. Ein Ballett auf geometrisch strukturiertem Bühnenboden, mit geometrisch farbig segmentierten vollplastischen Ballett-Figurinen, ihre statischen und graziösen Bewegungen Kontrapunkt zum damals dominierenden individuellen Ausdruck im Tanz. Und über und unter alledem der Grundgedanke der Trinität, Dreiheit, mit der, um nur diese zu nennen, dreigeteilten Bühne, drei (später mehr) Balletttänzern in drei Ballettszenen und eigens dazu komponierter Musik (1926 Hindemith). Ein künstlerisch-avantgardistisch rational dekliniertes Ballett? Nicht ganz, gar nicht, erhält und enthält es doch mit der „Drei“ als durchgängigem Kompositionsmotiv eine religiös-mystisch aufgeladene Konnotation. Und wird so unerklärbar? Wir sind wieder auf Seite 55.

Bescheidenheit also bei dem Versuch, das Publikum einzubeziehen. Das goutiert, hier nur sehr schmal erwähnt, vor allem die so ungewöhnlichen Kostüme, die tänzerischen Leistungen. Viele der Originale verbrannten 1944 in Stuttgart, um dann in einem hier werkstattberichtsähnlich detailliert dokumentierten aufwendig-langwierigen Rekonstruktionsprozeß durch Gerhard Bohner an der Akademie der Künste Berlin-West 1976/77 in einer Neuproduktion vorgestellt zu werden. Nun eine Performance mit mehr Tänzern, neuer Musik (Hans-Joachim Hespos) und in Gastspielen bis 1989 weltweit aufgeführt. Mit Figuren die Geschichten erzählen, von Berührungen einer männlichen und weiblichen Figur, einer Frau zwischen zwei Männern. Und die mit einem „Abstrakten“ abschließen, hier kunsthistorisch interpretiert als kampfbereiter Erlöser. Erlöser wovon? Siehe Seite 55.

Das Unbestimmte dieses Balletts, eine konstante Herausforderung die freilich auch seine Aktualität ausmacht. Und künstlerisch anregt, wie Karl Lagerfeld 1997 zu einer Polaroid-Hommage mit triadischen Objektkörpern oder die Konzeptionisten von Google zu einer Google-Startseite am 4. September 2018 mit einer Figurine aus Schlemmers Ballett. Kontinuität auch durch die seit 2014 wieder möglichen Aufführungen, nun in einer Münchener/Berliner Neuinszenierung mit Eleven des Bayerischen Staatsballetts dessen Deutschland-Vorstellungen für 2019 ausverkauft sind.

All dies in einer überzeugenden Dokumentation, einem Werkstattbericht in sehr ansprechendem Layout über den Weg von Schlemmers Eroberung des Raumes durch sein Ballett. Objekt- und Aufführungsgeschichte für Kenner. Der Neugierige aber entdeckt hier eine neue Welt.

05.03.2019
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Norbert Stück. Die Abstrakten. Oskar Schlemmer und Gerhard Bohner. Das Triadische Ballett. Stück, Norbert. Hrsg.: Akademie der Künste, Berlin. 2019. 80 S. 76 Abb. EUR 13,00.
ISBN 978-3-88331-231-6
 
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