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Berliner Kunstmatronage

„Kunstmatronage“ – die Autorin des Bandes räumt ein, dass es sich bei dem Titel um einen Neologismus handelt; dies jedoch nicht aufgrund modischer ‚Gendersprache’, sondern um eine kunstsoziologische Lücke zu schließen: Während die Kunstgeschichte spätestens seit den 1980er Jahren unzählige Biographien von Künstlerinnen erforscht hat, um die lange übersehenen „Spuren des Schiffs in den Wellen“ (Gisela Breitling) wieder sichtbar zu machen, gibt es zum Thema „Kunstsammlerinnen“ kaum mehr als einen Sammelband [Wimmer/Feilchenfeldt/Tasch (Hg.): Kunstsammlerinnen. Peggy Guggenheim bis Ingvild Goetz, Berlin 2009].
Diese Lücke hilft nun eine Dissertation über „Berliner Kunstmatronage. Sammlerinnen und Förderinnen bildender Kunst um 1900“ zu füllen. Systematisch hat die Kunsthistorikerin Anna-Carolin Augustin für ihre Arbeit Leihgeber- und Schenkungslisten der Berliner Museen ausgewertet, Mitgliederlisten von Fördervereinen und die zeitgenössische Zeitschriftenliteratur und somit die Geschichte zahlloser vergessener Sammlerinnen und Mäzeninnen der Berliner Museen zutage gefördert. Ihr gelingt es dadurch, eine nahezu vergessene Tradition des Kunstsammelns und -förderns durch Frauen zu beleuchten. Die in ihrer Arbeit zum Vorschein kommenden Geschichten sind faszinierend und tragisch zugleich. Wer kennt schon noch die Porzellansammlerin Hermine Feist oder die Ethnographika-Sammlerin Caecilie Seler-Sachs, die zudem zu den ersten gehörte, die über Sammlerinnen schrieb? Oder Margarete Mauthner, die Übersetzerin der Briefe van Goghs, die zu den ersten Käuferinnen der Bilder des Malers in Deutschland gehörte? Oder Margarete Oppenheim, die die größte Kollektion an Werken Cézannes in Deutschland zusammengetragen hat?
Diese und viele andere, heute weitgehend vergessene Frauen prägten die großbürgerliche Sammlerkultur um 1900 in Deutschland entscheidend mit und waren elementarer Teil des Berliner Kunstmarkts und Kunstgeschehens. Dabei hatten sie sich gegen zahlreiche Vorurteile zu behaupten, da weibliches Sammeln von vielen männlichen Zeitgenossen eher als kaum ernstzunehmender Zeitvertreib und Dekorationsbedürfnis gewertet wurde. Bisweilen wurde den Damen aus gehobenen Kreisen das Sammeln sogar als Therapie gegen Langeweile oder Hysterie empfohlen. Hinzu kamen – nicht erst in der Zeit des Nationalsozialismus – Ressentiments gegen die Trias „weiblich – jüdisch – modern“, die das antisemitisch geprägte Klischee von der „Salonjüdin“ bediente. Selbst Karl Kraus fragte in seiner Zeitschrift „Die Fackel“ polemisch, welcher Konfession eine Dame wohl angehöre, die in einem Kleid von van de Velde, mit einem Ohrgehänge von Lalique und einem Glas von Koloman Moser posiere.
Hermann Obrist hatte da schon sachlicher konstatiert, dass die Frau manchmal die offenbar ästhetisch neugierigere Sammlerin sei, wo Männer noch eher der Vergangenheit anhingen. Ein Beleg für diese These – die auch Anna-Carolin Augustin nicht aufklären kann – kann da Margarete Mauthner sein, die in den Werken van Goghs ein „heißes Echo“ auf ihr eigenes Ausbrechen aus gesellschaftlichen Traditionen fand.
Das nun erschienene Buch leistet Pionierarbeit. Eine umfassende Kulturgeschichte des Kunstsammelns von Frauen steht allerdings weiterhin aus. Dies liegt vor allem an der klugen und pragmatischen Entscheidung der Autorin, ihre Studie auf Berlin und die Zeit vom Kaiserreich bis zum Beginn des Nationalsozialismus zu begrenzen. Dadurch (sowie durch ein nützliches biographisches Verzeichnis und das Personenregister) ist ihre Arbeit ein unverzichtbares Grundlagenwerk. Leider fehlen durch die topographische Beschränkung jedoch die Querverweise auf so bedeutende Sammlerinnen wie Gertrud Osthaus, Elsa Tischner-von Durant oder Hertha Koenig, die ihre Kunstwerke und Salons nicht in der Reichhauptstadt präsentierten.

21.02.2019
Rainer Stamm
Berliner Kunstmatronage. Sammlerinnen und Förderinnen bildender Kunst um 1900. Augustin, Anna-Carolin. 544 S. Gb. Wallstein Verlag, Göttingen 2018. EUR 56,00.
ISBN 978-3-8353-3180-8
 
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