KunstbuchAnzeiger - Kunst, Architektur, Fotografie, Design Anzeige Verlag Langewiesche Königstein | Blaue Bücher
[Home] [Kunst] [Rezensionen] [Druckansicht]
Themen
Recherche
Service

[zurück]

Wetterleuchten

Claes Oldenburg schrieb 1961: "Ich bin für eine Kunst, die politisch-erotisch-mystisch ist, die etwas anderes tut, als im Museum auf ihrem Arsch zu sitzen". Künstler-Manifeste sind keine braven Begleittexte für Katalogkäufer. Ihre Verfasser sind Menschen, die anders leben als die fiesen Spießer um sie herum - sie wollen nicht in einer Reihe trotten, sie wollen sich nicht von angeblichen gesellschaftlichen Notwendigkeiten ihre Kraft aussaugen lassen. Das Büchlein "Wetterleuchten! Künstler-Manifeste des 20. Jahrhunderts" hetzt seine Leser 46mal, mit 46 Texten auf, hetzt auf gegen die, die fest im Sattel sitzen und die knechtenden Regeln machen. Das verbindet die Manifeste aus der Zeit von 1910 bis 1991. Am Beginn des Jahrhunderts rütteln uns die Russen auf: Majakowski gibt den "Tagesbefehl an die Kunstarmee" auf. Dann versuchen die Surrealisten und Dada die Barrikaden kapitalistischer Sinngebung auf den Müll zu schmeißen, und Horden von Manifesten fiebern dem Sozialismus entgegen. Sie stellen sich gegen den verpesteten Atem konservativer Moral. "die frau muß sich also aller medien als mittel des sozialen kampfes und als mittel für den gesellschaftlichen fortschritt bedienen, um die kultur von den männlichen werten zu befreien", so wird im März 1972 nicht mehr nur das politische Establishment angegriffen (Valie Export). Die Kunst greift an, braucht nicht abzuwägen und nicht zu analysieren, diese Manifeste reißen dem Leser ein Stück des öden grauen Himmels auf. "Dich singe ich, Sozialismus, jetzt erst recht," erklingt 1991 Rolf Schwendter, als letzter in diesem Bändchen. Und auch wenn jeder weiß, was aus all den Utopien geworden ist, so fehlt einem sofort diese Lektüre vor dem Frühstück, die den Tag erst in Bewegung versetzt hat, diese schwungvollen, größenwahnsinnigen, sich um nichts scherenden Aufforderungen, und man vermisst die Manifeste aus den letzten zehn Jahren. Künstler, verlangt mehr von uns!

Nachtrag der Redaktion: Schade, dass das Bändchen keine Fadenheftung hat, ich hätte gern etwas mehr Geld ausgegeben und dafür eine Loseblattsammlung vermieden. Es liest sich nämlich gern mehr als einmal.
Mareile Ahrndt
Wetterleuchten! Künstler-Manifeste des 20 Jahrhunderts. Kleine Bücherei für Hand und Kopf - Band 50. 2000. 128 S., Br. EUR 9,80
ISBN 3-89401-358-3   [Edition Nautilus]
 
© 2003 Verlag Langewiesche [Impressum] [Nutzungsbedingungen]