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Das schmutzige Geschäft mit der Antike

Wer den Niedergang des Journalismus in Deutschland beklagt sollte sich den Namen Günther Wessel merken. Er ist nicht vertraglich an ein Medium gebunden, sondern arbeitet als Freiberufler in erster Linie für den Hörfunk. Er geht den Themen nach, die ihn interessieren und folgt seinem journalistischen Instinkt. Und mit seinem neuesten Buch „Das schmutzige Geschäft mit der Antike“ verkörpert er geradezu mustergültig das, was Journalismus zu leisten vermag, wenn man ihn ernst- und gewissenhaft, ja leidenschaftlich betreibt: er kann aufklären, warnen, Zusammenhänge und Strategien, gesellschaftliche und (in diesem Fall) kulturpolitische Mißstände aufzeigen, er kann (und das wünschen wir dem Buch) eine breite Leserschaft erreichen, indem er klar gegliedert in der Struktur, nachvollziehbar in der Darstellung, vor allem aber immer transparent in Bezug auf die Quellen und die Meinungsbildung des Autors einen Sachverhalt ausbreitet – und zwar vorbehaltlos und differenziert. Jedem unserer sparwütigen Medienmanager, Zeitungsverleger, Aufsichtsratsvorsitzenden, Blattmacher, Redakteure gehört dieses Buch um die Ohren geschlagen: Sorgt dafür, dass Journalismus so gemacht wird. So, so, so! Da müssen wir wieder hin, damit unsere Leser zurückkommen.
Wessel hat sich in seinem als große Reportage angelegten Buch einem Thema angenommen, dass man im Nachgang zum Lesen als geradezu ekelhaft empfindet, freilich ohne dass dies der Autor auch nur im Entferntesten insinuiert hätte. Ausgehend von den mafiösen Geschäften mit antiken Kunstschätzen aus den Krisengebieten des Nahen Ostens, die seit dem zweiten Irakkrieg 2003 immer wieder die Medien beschäftigten und zuletzt im Zusammenhang mit angeblichem Kunsthandel der Vertreter des sog. „Islamischen Staates“ (IS) auftauchten (den Wessel als bislang unbewiesen einstuft), zeichnet der Autor die Verbindungswege des globalen Kunsthandels nach. Und man muß erkennen: die Raubgrabungen in destabilisierten Ölförderregionen sind nur die Spitze eines Eisbergs, dessen Masse eigentlich die europäische und US-amerikanische „Hochkultur“ der Museen, Sammler, Kuratoren, Auktionäre und Händler ausmacht. Unter ihnen nämlich zirkulieren die geraubten Kulturgüter – durch Zertifizierung und Provenienzbeweise dubios veredelt und reingewaschen – zu einem vielfachen des Preises, für die man sie einst aus dem Grabungszusammenhang herausgerissen, gar -gesprengt hatte. Um also die Nachfrage der westlichen Institutionen zu befriedigen lassen sich Iraker, Afghanen, Ägypter, aber auch Italiener und Griechen (und etliche von der Hobbyseuche „Schatzsuche“ getriebene Deutsche) darauf ein, ein kriminelles Feld zu beackern.
Indem Wessel diese Zusammenhänge nachzeichnet und damit den Kunstmarkt als Ganzes ins Blickfeld nimmt, offenbart er dem Leser, dass es juristische Winkelzüge, schwächliche Regelungen, matte Regierungen, fehlende Kontrolleure und zahnlose Landesgesetze mit engen Geltungsbereichen sind, die das weltweite Agieren der Kunsthändler nicht unterbinden, und nicht sanktionieren. Deutschland – und dabei besonders die deutsche Legislative – kommt dabei eine besonders unrühmliche Rolle zu. Die Umsetzung eines UNESCO-Kulturgutgesetztes von 1970 etwa, das den globalen Antikenhandel eindämmen sollte, brauchte 37 Jahre, und dies, wie Monika Grütters im Gespräch mit Wessels zugab, durchaus mit Absicht, da man den Kunsthandelsstandort Deutschland politisch schützen wollte und will. Dass in naher Zukunft nicht viel Veränderung zu erwarten ist, legt Wessel nahe. Die Lobby der Händler und Sammler sei einfach zu stark, das Geschäft zu attraktiv. Wessel appelliert daher an alle Kunstinteressierten, generell keine Antiken zu kaufen, da diese immer (!) aus dem Grabungszusammenhang gerissene Stücke seien, dadurch wissenschaftliche Analyse verhindern, kulturelle Kontexte und rechtliche Zugehörigkeiten ignorieren.
Was das Buch über sein eigentliches Thema hinaus wichtig macht sind die Blicke über den Tellerrand. Immer benennt Wessel die Parallelen zwischen Kunst- und Drogen-, aber auch Menschenhandel auf – die gleichen Kanäle und Netzwerke agieren hier. Und er verweist auf das System der globalen Märkte, ihrer Steueroasen, der Freihandelszonen und Umschlägplätze, wie die Schweiz oder die Emirate. So gesehen bietet „Das schmutzige Geschäft mit der Antike“ nicht nur Einblicke in die schmierige Welt der gierigen Jäger, Händler und Sammler. Es bietet auch Einblicke in eine weitere Facette unserer heutigen, dem schnöden Mammon zum Opfer dargebrachten Welt.

04.09.2015
Christian Welzbacher
Günther Wessel: Das schmutzige Geschäft mit der Antike. Der globale Handel mit illegalen Kulturgütern. Beitr.: Hilgert, Markus
Fless, Friederike. Christoph Links Verlag, Berlin 2015. 184 S., Br. EUR 18.00 .
ISBN 978-3-86153-841-7
 
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