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Die Schönheit ist eine Linie

Schlangenlinien

In seinem nachgelassenen Werk lädt uns der Exdirektor der Hamburger Kunsthalle Werner Hofmann (1928-2013) ein, mit ihm zusammen in schlangenhafter Wendigkeit der S-Linie nachzuspüren, der "Linie, die alles kann": Eine echte Abenteuerreise, die in der Steinzeit beginnt, sich bei den Griechen fortsetzt und über Gustav Klimt und Max Ernst im Heute bei Hundertwasser - vorläufig - endet. Auch die "Linie der Schönheit" genannt, verwandelt sich die Schlangenlinie in der Kunstgeschichte in den Laufenden Hund, den Mäander, die Spirale, die Welle, in Rocaille-Windungen, in Voluten und in Dos-à-dos-Kunstschreinerei. Und das ist noch lange nicht alles. Schaut man sich zum Beispiel die Randornamente aus dem Book of Kells (8. Jahrhundert) an, so befinden wir uns gar in "linearen Labyrinthen", die sowohl dem Künstler als auch dem Betrachter höchste Konzentration und Versenkung abverlangen.
Warum ist die Wellenlinie so schön? Weil sie Wichtigstes im Menschenleben symbolisiert: Krankheit und Gesundheit, Leben und Tod, Anfang und Ende, rechts und links, gut und böse, oben und unten, schwarz und weiß, kurz das ewige Hin und Her des Schicksals und des Lebens. Wobei das Rechts das Links impliziert, das Gute das Böse, das Ende den Anfang - Yin und Yang eben. Reiche Symbolik verbirgt nicht nur die sich schlängelnde Linie, sondern auch das Tier selbst, in seiner Doppeldeutigkeit zwischen Grazie und Falschheit hin und her wechselnd; mitunter erscheint sie in "fauchender Drachengestalt", mal in "unscheinbarer Anmut". Die Uroboros-Urschlange beißt sich gar in den Schwanz und hat eine dunkle und eine helle Seite.
Neben aller Symbolik ist das Buch aber auch eine Ikonographie der Schlange und ihrer Variationen als Motiv: So fehlt die Schlange aus Michelangelos Sündenfall nicht und auch nicht die Schlangen vom Pergamonaltar und die des Laokoon. Ein kleines Lehrstück der Ornamentik ist der Laufende Hund auf Pisanellos "Die Vision des heiligen Eustachius", wo ein schlanker laufender Windhund seine Entsprechung in der Volute eines Schriftbandes findet. Gleich fünf sich windende Schriftbänder vereinen in dem niederrheinischen Bild "Der Liebeszauber" (2. Hälfte 15. Jahrhundert, Museum der bildenden Künste, Leipzig) gar den verschriftlichten Liebeszauber mit dem Urbild der Verführung selbst, indem sie die tänzelnde nackte Frauenfigur sowohl umschreiben als auch umschweben.
Auf Hofmanns Spuren begreift der Leser einmal mehr, dass Kunstgeschichte eine Wissenschaft ist, nicht gemacht, um sich in Ästhetikschwärmerei zu verlieren, sondern um zu lernen, dass Kunst sich stets an menschlicher Entwicklungsgeschichte orientiert.
Ob der Untertitel "13 Variationen über ein Thema" auf den Kompositionscharakter des Textes hinweist - oder auf die Symbolik der Zahl 13? Wer weiß. Das edel gemachte Buch mit umfangreichem Tafelteil und vielen Textabbildungen ist jedenfalls Kunsttheorie auf höchstem Niveau, ein Gewinn für echte Kenner der Menschen-Kunst.

26.01.2015
Daniela Maria Ziegler
Die Schönheit ist eine Linie. 13 Variationen über ein Thema. Hofmann, Werner. 2013. 208 S. 140 Abb, davon 16 fb.. 24 x 17 cm. Gb. C.H. Beck, München 2013.EUR 29,95. CHF 43,50
ISBN 978-3-406-64490-0   [C. H. Beck]
 
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