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Stuttgarter Damenklasse – Künstlerinnen auf dem Weg in die Moderne

Der Schriftsteller und Philosoph Karl Heinrich Heydenreich (1764-1801) fragt in seinem Werk "Maximen für das gesellige Leben und den Umgang mit Menschen": "Wenn Frauen für ... Wissenschaften und Künste ... Genie besitzen, darf man dieses Genie seinem Fluge überlassen ...?" Mit nonchalanter Brutalität gibt er sich selbst zur Antwort, es sei "die Pflicht des Erziehers, das aufstrebende Genie des Mädchens zurückzudrücken ... dass es selbst die Größe seiner Anlagen nicht bemerke". Eine beredte Illustration zu diesem traurigen Resümee bildet in Gabriele Katz' wundervollem Buch der Scherenschnitt von Christiane Luise Duttenhofer (1776-1829), auf dem der demütig knienden Psyche die Flügel gestutzt werden ...

Dieser Haltung - und vor allem der Erwartung, ihre Bestimmung ausschließlich in der Mutterschaft zu sehen - dürfte ein Großteil der Malerinnen begegnet sein, die die Kunsthistorikerin Gabriele Katz in ihrem sowohl engagierten wie auch bewegenden Buch vorstellt. Sechzehn Malerinnen sind es, von deren Leben und Werk sie berichtet und deren Arbeiten in dem großformatigen Bildband vertreten sind. Das großartige Porträt auf dem Cover stammt von Luise Deicher (1891-1973) und stellt deren Schwester Eugenie dar.

Das Buch ist in drei Teile geteilt: Im ersten Teil lernt man Anna und Pietronella Peters kennen, die als Schwester und Töchter einer Malerfamilie das Glück hatten, lernen und malen zu dürfen. Beim Anblick eines Bildes von Anna Peters soll sogar der große Adolph Menzel erstaunt ausgerufen haben: "Malen kann das Frauenzimmer!" Im zweiten Teil lernen wir Emma Joos (1870-1932), Helene Wagner (1878-1956) und Maria Caspar-Filser (1878-1968) kennen, die im "Windschatten" der Königlichen Kunstschule und Akademie in Stuttgart arbeiteten. Der dritte Teil schließlich stellt zwei der Künstlerinnen des 1893 gegründeten Württembergischen Malerinnen-Vereins vor, Käte Schaller-Härlin (1877-1973) und Alice Haarburger (1891-1942). Als Königin Charlotte von Württemberg anlässlich einer Mitglieder-Ausstellung die Werke der Malerinnen sah, übernahm sie mit Engagement das Protektorat über den Verein. (Dafür dankten ihr die Künstlerinnen mit einem von ihnen bemalten Dekorationsfächer, der auf das Jahr 1894 datiert ist und im Alten Schloss in Stuttgart ausgestellt ist. Signiert ist er von Antonie Bronner, Johanna Koch, Anna Peters, Julie Textor und Sally Wiest.) Die alljährlichen Kostümbälle des Vereins, die jeweils unter einem Motto standen, waren legendär: Die Künstlerinnen warfen sich in Männerkleidung und stellten gar Rembrandt selbst dar (siehe die Fotos auf S. 62 und S. 78). "Sie trugen Frack und Weste, Zwirbelbärte und Perücken und konnten so ihre potenziellen Käuferinnen zum Tanz auffordern. Beim wilden Galopp war Frau Kommerzienrat ... schnell außer Atem und stimmte lachend einem Kauf zu, mit der Bitte, dass ihr "Tänzer" sie zum Tisch zurückbrachte ..."

Der vierte und ausführlichste Teil des Buches macht uns mit Adolf Hölzels (1853-1934) Damenklasse bekannt, die von dem charismatischen und fortschittlich denkenden Maler unterrichtet wurden, der als die "zentrale Figur für das Frauenstudium in Stuttgart" und als verkannter "Revolutionär der Moderne" gilt. Lebenswege und Werkbeispiele von neun seiner Schülerinnen lernen wir kennen: Maria Hiller-Foell (1880-1943), Luise Deicher (1891-1973), Lily Hildebrandt (1887-1974), Hedwig Pfizenmayer (1890-1967), Clara Harnack (1877-1962), Käthe Loewenthal (1878-1942), Erna Raabe Freiin von Holzhausen (1882-1938) und Marie Sieger (1886-1970); Ida Kerkovius (1879-1970) ist wohl diejenige unter ihnen, die heute noch am bekanntesten ist.

Sowohl die Biographien der Malerinnen, die untereinander intensive Freundschaften pflegten, als auch deren Arbeiten könnten unterschiedlicher nicht sein, allen gemeinsam ist jedoch Talent, Fleiß und Leidenschaft für die Kunst. Herausgehoben unter den zahlreichen abgebildeten Werken sei "Die Magd Kathrine" (1913) von Marie Sieger, das Porträt einer sitzenden alten Frau, die sich mit fest zusammengepressten Lippen und wie nach innen gerichtetem Blick den Betrachtenden präsentiert und mit ihrem Körper das gesamte Bildfeld ausfüllt. Dass sie mit verschränkten Händen und in Feiertagskleidung für die Malerin modellsitzt, lässt eine starke Spannung spüren, die Anspannung einer von täglicher Arbeit gezeichneten Frau, der das Stillsitzen fremd ist. Das eindrückliche Porträt, das ohne Hintergrund, ohne Tiefe auskommt, ist mehr als das 1:1-Abbild einer Person, sondern erfasst Kathrines ganze Aura, ihren gesamten Lebensweg und ihre Arbeit, ja, im Grunde ihre sämtlichen Lebensphasen.

23.01.2014
Daniela Maria Ziegler
Stuttgarter Damenklasse. Künstlerinnen auf dem Weg in die Moderne. Katz, Gabriele. 128 S. 28 x 21 cm. Gb. G. Braun Verlag, Karlsruhe 2013. EUR 24,95. CHF 35,50
ISBN 978-3-7650-8428-7
 
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