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Herbert Bayer - Werbegraphik 1928-1938

Sex ist normalerweise keine Kategorie, die in kunsthistorischen Abhandlungen eine Rolle spielt. In diesem Falle ist es anders. Bei Herbert Bayer werden die Partner getauscht, dass es nur so knattert. Getauscht werden aber auch die künstlerischen Ideen. Und am Ende: die Heimat. Offenbar, so suggeriert der umfangreiche Katalogtext des Designexperten Patrick Rössler, bildete die Trias Frauen, Kunst, Gesellschaft für Herbert Bayer eine Einheit, seit er am Bauhaus studierte und dort ein persönliches Netzwerk aufbaute – mit Gropius, Breuer, Moholy-Nagy und anderen –, das ihn bis zu seiner Auswanderung nach Amerika bestimmen sollte. Insofern ist diese Mischung aus ausschnitthafter Werkanalyse (bezogen auf Bayers Arbeit als Werbegrafiker), Kunst-, Zeitgeschichte und Biografie eine faszinierende Lektüre.
Die Faszination wird gesteigert, da Rössler eine zentrale Fragestellung konsequent verfolgt, nämlich Mythos und Wahrheit um Bayers 1938 angetretenes „Exil“ (diesen Begriff verwirft Rössler gleich in der Einleitung) zu entwirren. Es zeigt sich dabei, dass der Künstler bis zuletzt die Interpretation seines angewandt-künstlerischen Werkes im Sinne einer „unpolitischen“ Haltung zu lenken suchte, etwa, indem er nach 1933 entstandene Werbearbeiten, die Jahre später ins Oeuvre complet aufgenommen werden sollten, kurzerhand retuschierte und um verfängliche Begriffe wie „arisch“ erleichterte.
Entsprechend banal und undramatisch – und damit mit jüdischen oder anderweitig verfolgten Menschen, die schon 1933 fliehen mussten, überhaupt nicht vergleichbar – waren auch die Umstände, unter denen Bayer Deutschland verließ: der kulturpolitische Wind hatte sich gedreht, es gab keine Aufträge mehr. Das Regime bevorzugte zur Selbstdarstellung immer weniger den schlanken dynamischen Modernismus, als eine kantig-konservative Formensprache mit reaktionärer Haltung. Das konnte, das wollte Bayer nicht liefern, obwohl er mit dem Nationalsozialismus und seinen Inhalten keine Probleme hatte. An gleich drei zentralen Propagandaschauen hatte er mitgewirkt, „Deutsches Volk, Deutsche Arbeit“ (1934), „Wunder des Lebens“ (1935) und „Deutschland“ (1936). An „Gebt mir vier Jahre Zeit“ (1937), dem Schlussstein der Tetralogie, war er dann nicht mehr beteiligt.
Die Lektüre dieses Katalogbuches ist äußerst instruktiv und prall gefüllt mit Material aus den Archiven. Kleine Ungenauigkeiten – etwa, welche Abteilung im Propagandaministerium denn nun tatsächlich für Bayer zuständig war oder die Tatsache, dass Gropius Ex-Mitarbeiter (aber nicht Schüler) Hanns Dustmann für die HJ, nicht die SS tätig war – sind bei derartig akribischer Detailarbeit wohl kaum zu vermeiden. Dass ein Register fehlt ist schade. Inhaltlich zum Schluß noch eine Anregung: Hätte man Bayers Lebensweg mit einem anderen Künstler parallelgeführt – sich sozusagen ein zweites Emigrantenschicksal als Referenzbiografie gesetzt –wäre mancher Aspekt plastischer geworden. Ein weiteres: Inwieweit der in Deutschland gebliebene Bayer bei seinem unverhofften Karriereschub ab 1933 von der Flucht jüdischer oder linker Künstler profitiert hat, die bis dahin noch als direkte Konkurrenten agiert hatten, wäre ebenfalls ein spannendes Thema gewesen. Um nun über diese und ähnliche Dinge nachzudenken bietet der vorliegende Katalog – der mit einem selektiven Werkverzeichnis abschließt – viel Anregung.

10.12.2013
Christian Welzbacher
Herbert Bayer. Die Berliner Jahre - Werbegrafik 1928–1938. Rößler, Patrick. Redaktion: Bauhaus-Archiv Berlin. 298 S. 30 x 21 cm.Vergangenheitsverlag, Berlin 2013. EUR 39,90. CHF 53,90
ISBN 978-3-86408-159-0
 
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