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aus der zeit

Aus der Zeit. Aus der Zeit gefallen?
Potsdam/Berlin, Glienicker Brücke, Villa Schöningen, Presserundgang. Peter Iden schildert (im Katalog ausführlich) das zeitgenössische Umfeld zu einigen der hier präsentierten beispielhaften 34 Objekte des deutschen Informel (1950-1965) aus der Sammlung Ströher (Darmstadt). Der heute leicht verschämte deutsche Blick auf diese Kunst-Zeit, er behagt ihm nicht. Scheint er doch zu sehr verschattet von Werken eines Franz Kline, Jackson Pollock, Willem de Kooning, Jean Dubuffet, der Gruppe CobRa. Das deutsche Informel, redivivus ? Vielleicht.

Ein erster Blick in die Räume und ein fast reflexartiges Ausweichen: Wie von einem Faustschlag getrieben schieben sich Ernst Nays farbige Dreiecksgebilde (Instrumentation,1952; die erste Abbildung im Katalog) in den Raum und ins leicht Abstrakte, Expressionistisches hinter sich lassend. Ganz anders Motive von Willi Baumeister (Phantom mit Rot; 1952), Heinz Trökes (Die Gaben der Sonne; 1950), Rolf Cavael (Komposition 55/152; 1955), die entlang der Fäden Miros und um sie herum zu wandern scheinen. Josef Albers überrascht als eleganter Täuscher (Hommage to the square – Sedate, 1967) mit vier perfekt gemalten farbigen Quadraten, die beim zweiten Hinsehen Vorhänge zu sein scheinen; die Perfektion als Illusion? Schließlich der vielleicht wichtigste Informelle, K.O. Götz, die Berliner Neue Nationalgalerie wird ihn zu seinem 100. Geburtstag im Dezember 2013 mit einer Ausstellung würdigen. Hier glänzt er mit der Dynamik farbiger Wirbel, die an geschwungene Treppenhäuser der Fünfziger Jahre erinnern (September 53/3; 1953). Das gleiche Motiv zeigt sich1963 konzentriert-reduzierter (Korn) und beide Bilder zusammen mit dem noch kompakteren, intensiveren „Leszuk III“ (2012) würde man im Dezember gerne in der Neuen Nationalgalerie sehen. Gerhard Hoehmes Collage „Berliner Brief“ (1966), eines der wenigen explizit politischen Motive des Informel, bedruckte Papierfetzen aus Ost und West, weist dem Westen erstaunlich viele „Bestattungen“ zu und damit aus den Villenfenstern hinaus auf die Opfer der bis 1989 hier so nahen DDR-Grenze. Das konfiguriert mit einer Villa, die sich als Ausstellungsort künstlerisch-ästhetischer Impressionen versteht, die sich nur durch individuelle Freiheit optimal artikulieren können. Und zu der diese Ausstellung deshalb so gut paßt, weil sich hier eine kriegsverlorene Generation in der individuell interpretierten Kunst-Alternative der Abstraktion übt.
Mit meist eingegrenzt-strukturiert Amorphem (Bernard Schultze:Nordisch, 1954; Emil Cimiotti: Eremit, 1961) rundet sich diese Kurzübersicht zu einer Stilrichtung, die sich in ihrer Zeit so gar nicht verstehen konnte, einer Zeit der Suche in der europäisch-künstlerischen Vielfalt nach 1945. Eine Suche, die sich an Plastiken wie der Hans Uhlmanns (Insektenwesen, 1952) zeigt, die den naserümpfenden Verweis auf ihren vom Design der Fünfziger Jahre her bekannten Form- und Farbenkanon nicht verdient.

Folgt dem Rückblick auf die deutsche Architektur der Fünfziger Jahre nun der auf die Bildende Kunst dieser Zeit? Diese Ausstellung und die geplante Götz-Retrospektive der Neuen Nationalgalerie lassen hoffen, formen sich zu einem Wunschbild: Der Wiedereröffnung einer dann endlich sanierten Berliner Nationalgalerie mit einer Ausstellung zum deutschen Informel, dessen künstlerischen Nachwirkungen (dazu Ausgezeichnetes im Katalog) und seinem internationalen Kontext. Das deutsche Informel wäre aus seiner Zeit in unserer angekommen. Bis dahin empfiehlt sich ein Katalog, in dem Fotografien und Textbeiträge die Qualität dieses vielfältigen Stiles anschaulich werden lassen und überzeugend belegen.

17.04.2013
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
aus der zeit. Positionen der 50er und 60er Jahre aus der Sammlung Ströher. Hrsg. von Mathias Döpfner, Peter Iden, Hans-Jürgen Schwalm, Nicola Carola Heuwinkel. 128 S., 44 fb. Abb. 32 x 24 cm, Wienand-Verlag, Köln 2013. Gb. EUR 29,80 CHF 38,90
ISBN 978-3-86832-156-2
 
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