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Verklingend und ewig

Die Herzog August Bibliothek bewahrt eine der bedeutendsten Musiksammlungen Norddeutschlands. Wie aber stellt man Musik, eine Klangkunst aus, deren Wesen sich erst entfaltet, wenn man sie hört, nicht jedoch, wenn man sie sieht, oder wie sie aufgeschrieben wurde? Aufgeschrieben oder gedruckt in Büchern ist die entsprechende Musik nicht unmittelbar wahrzunehmen, und doch sind diese Dokumente oftmals von großer Schönheit. Sie lassen aber erahnen, wie umfassend Musik das Leben der Menschen prägte.
Der Katalog zur Ausstellung „verklingend und ewig. Tausend Jahre Musikgedächtnis 800 – 1800“ handelt von dem Miteinander von Buch und Klang, von der Spannung zwischen der verklingenden Musik und ihrer Verewigung durch Schrift: Das Klingende wird seit Jahrhunderten in Büchern aufgeschrieben und gedruckt und ist seither Grundlage für die Erinnerung an und die Aufführung von Musik.
Handschriften, Drucke und Graphiken aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit zeigen, wie Musik ins Buch kommt: Neben Entstehung und Wandel der musikalischen Notation, der Musiktheorie und des Notendrucks wird die Darstellung von Musik jenseits der Notenschrift thematisiert – in Festbeschreibungen und in der Ikonographie.
Nicht aufgeschrieben wurde, was als musikalische Praxis selbstverständlich war. Das aber, was aufgezeichnet wurde, war der Schlüssel, die Bücher zum Klingen zu bringen. Gesangbücher und Drucke mit handschriftlichen Eintragungen in verschiedensten Buchformaten illustrieren den praktischen Gebrauch der Bücher.
Besonders eindrucksvolle Exemplar sind das Chorbuch Wilhelms IV. von Bayern aus der Zeit 1519/20 oder eine Seite der Missae Posthumae von Orlando di Lasso (1610), bemerkenswert auch das Miniaturbuch, nicht viel größer als eine gewöhnliche Büroklammer, mit einer Textsammlung geistlicher Lieder und Psalmen Martin Luthers aus dem Jahr 1638.
Gezeigt werden auch Bücher, die als Verständigungsmedium zwischen den verschiedenen Akteuren des frühneuzeitlichen Musikbetriebs dienten.
Der Ausstellungskatalog umfasst einen Essay- und einen Katalog-Teil. Einführende Essays behandeln das Sammeln und Tradieren von Musik ebenso wie die folgenden Themenschwerpunkte, die sich im Katalogteil anschließen. In drei Kapitel gegliedert, wird dargestellt, inwiefern die Musik mit dem Buch zu tun hat, beziehungsweise der Übergang vom Klang zur Schrift erfolgte, die Verklanglichung des Aufgezeichneten sowie die historische Aufführpraxis sich in Büchern wiederfindet. Ein weiteres Kapitel erläutert, warum Musik nicht mehr aus dem Buch kommt, die Bücher verstummt sind.

Die jeweils dargestellten Exponate lassen lang vergessene musikalische Welten auferstehen. Allein das Dokument des Wolfenbüttler Chansonnier, eine Sammlung volkssprachlicher weltlicher Lieder, ein kleiner Pergamentkodex, der in seiner künstlerischen Ausstattung auf einen begüterten Auftraggeber schließen lässt, erzeugt in der Phantasie einen Chor gutgelaunter Sänger.
Andere Exponate erinnern an eine Musik, die nie auf Dauer angelegt war: Gelegenheitskompositionen, meist von Frauen, oder musikalische Leichenpredigten. So berichtet eine Flugschrift aus dem Jahr 1629, in Staffelstein „bey dem Closter Bantzen“ habe es eine Missgeburt gegeben. Die entsprechende „Meldung“ wurde in über dreißig Strophen aufgeschrieben und in der Melodie des bekannten Liedes „Gott hat das Evangelium gegeben, das wir werden frum“ von Erasmus Alber vorgetragen.

Zur musikalischen Bildung trugen ebenso Schriften über verschiedene Musikinstrumente bei. Das älteste abendländische Zeugnis ist das Traktat „Musica getutscht und außgezogen“ des Sängers, Priesters und Musiktheoretikers Sebastian Virdung von 1511, in dem Virdung eine für Autodidakten geeignete Einführung in das Spiel verschiedener Instrumente gibt. Der Titel des Traktats ist bis heute rätselhaft, da Virdung seine Quelle nicht preisgibt.
Eine ebenfalls interessante Quelle aus der Renaissance dürfte das Tanztraktat des Tänzers und professionellen Tanzmeisters Cesare Nigri aus dem Jahr 1604 sein. Neben autobiographischen Angaben enthält es Aufzeichnungen von damals berühmten Tänzern und ihrem Wirken an den europäischen Fürstenhöfen.
Geben die Beiträge im Essay-Teil einen leicht verständlichen, gut lesbaren Einblick in die Entwicklung der Schriften eines tausendjährigen Musikgedächtnisses, möchte man beim Durchblättern des Katalogteils in den leider nur mit einem einzigen Bild gezeigten Dokumenten blättern und lesen können.

Jedes Exponat wird ausführlich beschrieben. Zusammen mit hervorragenden Abbildungen gewähren die gezeigten Dokumente einen wunderbaren Blick in die musikalische Welt sowohl des Alltags der kleinen Leute als auch des Hochadels.
Ein schönes Buch nicht nur für Musikfreunde.

25.09.2012
Gabriele Klempert
verklingend und ewig. Tausend Jahre Musikgedächtnis
800 –1800. Hrsg.: Susanne Rode-Breymann und Sven Limbeck. Ausstellungskatalog der Herzog August Bibliothek Nr. 94. 308 S., 172 meist fb. Abb. 26 x 21 cm, Gb. Harrassowitz, Wiesbaden 2011. EUR 39,80
ISBN 978-3-447-06596-2   [Harrassowitz Verlag]
 
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