KunstbuchAnzeiger - Kunst, Architektur, Fotografie, Design Anzeige Verlag Langewiesche Königstein | Blaue Bücher
[Home] [Kunst] [Rezensionen] [Druckansicht]
Themen
Recherche
Service

[zurück]

Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst – Alfred Flechtheim

Eine wunderbare Idee, der Biografie des Kunsthändlers Alfred Flechtheim (1878-1937) – ja, der mit der Nase! – eine vollgepackte CDrom beizulegen, einmal mit ausgelagerten Tabellen sämtlicher Flechtheim-Kataloge, dann aber mit einem Heft des von Flechtheim herausgegebenen „Querschnitts“ – einer der bedeutenden gehobenen Unterhaltungszeitschriften seiner Zeit –, und zwar den „Querschnitt durch Alfred Flechtheim“, einem 1928 zum 50. Geburtstag erschienenen Privatdruck, der Glückwünsche nahezu sämtlicher relevanter Künstler der deutschen und französischen Moderne vereint. Diese Quelle ersten Ranges dokumentiert schlagend Flechtheims Bedeutung, seine Berufung als Kunsthändler, der nicht allein handelte (und also als Geschäftsmann profitierte), sondern die Künstler bereicherte, inspirierte, anspornte und damit selbst Teil der Kunst war – „Marchand de Tableaux Créateur“ lautete entsprechend der Ehretitel, den man ihm bei seinem Tod verlieh (vgl. S. 380). So ist Flechtheim aus heutiger Sicht Inbegriff der klassischen Moderne geworden, eine Schlüsselfigur, aber eben auch (durch die grandiosen Porträts) eine Ikone. „Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst, stärker als Spiel und Alkohol und Weiber“, hat Flechtheim festgestellt. Jetzt hat ihm Ottfried Dascher, einstiger Leiter des Hauptstaatsarchivs von NRW, eine Biografie gewidmet.
Eine noch wundervollere Idee wäre es gewesen, noch viel mehr Material auszulagern, um so das Buch (üppig bebildert, schön gesetzt, gut gemacht, allerdings durch 500 Seiten Bilderdruckpapier etwas schwer) nicht nur physisch, sondern auch textlich-strukturell zu entlasten. Dascher schreibt allgemeinverständlich und spannend, nachvollziehbar breitet er die Fakten aus: Wie der Sproß einer jüdisch-großbürgerlichen Getreidehändlerdynastie kurz vor dem Ersten Weltkrieg im wahrsten Sinne des Wortes auf die Kunst kommt, die alten Geschäfte aufgibt und in Düsseldorf eine Kunsthandlung mit den Werken jener Künstler beginnt, die er zuvor nur selbst gesammelt hatte, darunter Juan Gris, Braque, Picasso, Van Gogh, die deutschen Expressionisten. Dascher erzählt, wie die Berliner Galeristen Herwarth Walden („Der Sturm“) und Paul Cassirer Flechtheim erst zum Galeristendasein (zunächst in Düsseldorf, dann in Berlin) brachten und dann dazu, mit dem „Querschnitt“ Verleger zu werden. Namen, Fakten, Zahlen defilieren am Leser vorbei, alles wunderbar beeindruckend und die hervorragend in den Text eingebundenen Bilder vermögen auch viel von der Atmosphäre der Zeit zu transportieren. Aber man hätte sich doch einen weniger positivistischen Zugang gewünscht und mehr zupackende Schilderung der Persönlichkeit und eben seiner „wahnsinnigen“ Beziehung zur Kunst. Was genau hat ihn angetrieben, Kunst besitzen, Kunst handeln zu wollen? Auch dass der Mann einen ordentlichen Humor hatte erfährt man eher am Rande und verstreut. Und das Verhältnis von „Kunst“ und „Spiel“ und „Alkohol“ und „Weiber“, das im markigen Titelzitat angedeutet ist: auch da hätte man als Autor ordentlich zupacken können, um nicht nur aufzuzählen, was Flechtheim so alles mit wem und wo gemacht hat – sondern, um zu einem eindrücklichen Porträt seiner Persönlichkeit zu kommen. Wenn der Maler Ottomar Starke (auf S. 171) charakterisiert: „Alfred Flechtheim war genauso originell, wie er aussah. Seine herausfordernde Erscheinung deckte sich mit seinem zu Aggressivität neigenden Wesen. Er war impulsiv und explosiv, frech und ehrgeizig, schlagfertig und witzig, immer hilfsbereit und großzügig, ein zuverlässiger frère et copain“ – dann hätte man genau hier die Fabel ansetzen können.
Dabei sei klipp und klar vermerkt: Dieses Buch ist wichtig, es ist absolut lesenswert und es kommt dazu noch zum richtigen Zeitpunkt. Denn es bietet nicht nur Einblicke in die kunst- und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge einer faszinierenden, noch immer nicht gänzlich ausgeleuchteten Epoche. Es bietet auch neue Erkenntnisse über den Kunstmarkt der Zeit. Kunst und Markt – dieses Verhältnis hat zuletzt vor allem in Verbindung mit Raub und Restitution interessiert, also Beschlagnahme und Abverkauf von Schlüsselwerken der Moderne im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus und der Aktion „Entartete Kunst“ (Flechtheim war der einzige Kunsthändler, der im Katalog der gleichnamigen Ausstellung explizit benannt wurde). Allmählich wird deutlich, dass man die Ereignisse nach 1933 besser begreifen lernt, wenn man auf die Zeit vor der „Machtergreifung“ blickt. Und gerade im Hinblick auf die brutale Enteignungspolitik der Nazis, die Kunstauffassung und Rassepolitik engführte und (nachdem die Wirtschaftskrise der Galerie bereits den ersten Schlag versetzt hatte) damit auch Flechtheims Ende als Galerist besiegelte, hätte man auch Flechtheim als jüdische Persönlichkeit stärker beleuchten können. Denn gerade die Reduktion Flechtheims auf einen „Typus“ hat das Abziehbild für stumpfen Rassenhass geliefert, mit dem der NS gegen die vermeintlich „jüdisch-bolschewistische“ Weltverschwörung vorgegangen ist. Dieser kulturpolitische Aspekt kommt – neben dem Unterhaltungsanspruch, den der Rezensent an die Gattung Biografie nun einmal zu stellen sich erlaubt – am Ende wirklich etwas zu kurz.

16. 12. 2011
Christian Welzbacher
Dascher, Ottfried. "Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst". Alfred Flechtheim. Sammler, Kunsthändler und Verleger. 350 S. 120 Abb. 23 x 16 cm. Gb. Nimbus Verlag, CH Wädenswil 2011. EUR 36,00.
ISBN 978-3-907142-62-2
 
© 2003 Verlag Langewiesche [Impressum] [Nutzungsbedingungen]