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Berauschendes Nachleben und wilde Bildkombinatorik

George Didi-Huberman liest Aby Warburg und Georges Batailles

Die Kunstwissenschaft nannte man früher gerne Kunstgeschichte, obwohl das ihr Gegenstand ist. Man verbindet mit ihr, die Zuordnung namenloser Werke zu einer bestimmten Künstlerpersönlichkeit oder die Beschäftigung mit der Entwicklung eines Künstlers. Das Zu- und Abschreiben von Kunstwerken war einmal das Kerngeschäft dieser Wissenschaft und auch heute ist noch so mancher davon fasziniert. Doch seit dem 19. Jahrhundert wurden von dieser Wissenschaft zahlreiche andere Aspekte ins Visier genommen. So ist es heute ein Allgemeinplatz, dass Kunst konkrete gesellschaftliche und spirituelle Funktionen hatte, sie in und für soziale Zusammenhänge entsteht. Es interessiert inzwischen vor allem die Geschichte des Umgangs mit Bildern. Diese zeigt Kontinuitäten, aber auch Brüche und produktive Missverständnisse, deren Verbindungen und Wandlungen für die späteren Betrachter erst mühsam rekonstruiert werden müssen.

Als eine Schlüsselfigur der Erneuerung der Kunstwissenschaft gilt Aby Warburg. Das Lebenswerk dieses Hamburger Privatgelehrten ist seine Bibliothek, die er nach Prinzipien verwandter Interessen statt nach einer starren, inhaltsfernen Systematik sortierte. Seine wenigen Schriften begründeten zudem einen neuen Umgang mit der Geschichte der Bilder. Die Auseinandersetzung mit seinem Werk füllt Bibliotheken und es mag daher verwundern, warum gerade das Buch eines französischen Autors hervorgehoben werden muss. Der Philosoph und Kunsthistoriker George Didi-Huberman wurde in den letzten zwanzig Jahren zu einem Wortführer der Kunstwissenschaft. Seine inzwischen zahlreichen, auch in Übersetzung vorliegenden Bücher und Aufsätze haben die Faszination für Bilder, die von der Kunstwissenschaft bislang nicht als Bilder angesehen wurden, gemeinsam. Dennoch ist er kein Apologet einer Bildwissenschaft, wie sie der Berliner Horst Bredekamp zu etablieren sucht, der nicht länger nur Kunstwerke betrachten, sondern jeglichen Umgang mit Bildern, die gerade auf den Aspekt der Kunst verzichten können, zum Gegenstand seiner Wissenschaft macht.

Didi-Hubermans Interessen an der Kunstgeschichte korrelieren in vielen Punkten mit denen Warburgs. Im Gegensatz zu den Anhängern Warburgs, nimmt er aber den besessenen Büchersammler und Bildbetrachter, nicht vor sich selbst in Schutz. Mitarbeiter der Bibliothek wie Ernst Gombrich, die ihrerseits weltberühmte Kunstwissenschaftlern wurden, und Universitätsprofessoren aus seinem Umkreis wie Erwin Panofsky waren immer bemüht, nicht als Schüler Warburgs wahrgenommen zu werden. Und sie waren bemüht, die Interpretation der Texte, Briefe und Tagebuchaufzeichnungen Warburgs nicht in die Nähe von Denksystem kommen zu lassen, die erheblich wirkungsmächtiger erscheinen können oder den Hang zum Spekulativen haben.

Didi-Huberman liest hingegen die Spuren des zentralen Begriffs in Warburgs Werk vom Nachleben, die ihn zu einem der Begründer der modernen Ethnologie führen, Edward B. Tylor. Dessen Beobachtung, dass die Gegenwart aus zahlreichen Vergangenheiten zusammengesetzt ist, wurde für Warburg prägend. Didi-Huberman sieht in Friedrich Nietzsche und dessen Vorstellung von den dunklen Triebkräften aus Pathos, Affekt, Trieb und Konflikt einen, auch in der Krankheit, Geistesverwandten. Und er liest Warburgs Versuch, eine Kulturhistorie der menschlichen Psyche aus den Bildern zu destillieren, eine Parallelaktion zu Sigmund Freuds Suche nach den Konstanten der menschlichen Psyche. All dies leuchtet in der Erzählung Didi-Hubermans ein, obwohl es von der üblichen Warburg-Auslegung mit Vehemenz abgelehnt wurde. Er gewinnt damit, durchaus spekulativ, dem Schüler des Kulturhistorikers Jacob Burckhardt, als der sich Warburg empfand, eine neue Lesart ab.

Warburgs Vorstellung vom Nachleben der Bilder der Antike im christlichen Zeitalter bekommt bei Didi-Huberman einen kulturpsychologischen Aspekt, den die auf Texte fixierten Ikonologen eines Schlages wie Panofsky gerade vermeiden wollten. Das Nachleben steht eben nicht einfach für Weiterleben oder Wiedergeburt von Motiven, die nur dechiffrierte werden müsste, sondern für eine Prägung im darwinschen Sinne, die interpretiert werden will. So schreibt Didi-Huberman letztlich auch über die Wahrnehmung von Zeit und über die Modelle, die Geschichtswissenschaft sich davon macht.

Dass er hier in den Ton der Metaphysik verfällt, mag Ereignishistoriker ebenso gruseln, wie es das Denken des Lesers in Schwingung bringt. Angesichts der Flut von Warburg-Literatur kann ein zehn Jahre altes Buch kaum den Anspruch der Aktualität erheben, zumal wichtige Schriften Warburgs seither erstmals publiziert wurden. Aber Didi-Hubermans in seinem unprätentiös parlierenden Ton gehaltene Biographie der zentralen Denkfiguren Warburgs ist eben mindestens so sehr ein Selbstporträt des Autors geworden wie eine Einführung in Warburgs Denken. So kann man ein Schlüsselwerk des Franzosen in gelungener Übersetzung genießen. Eine glückliche Fügung für alle an Gedankenexperimenten Interessierte ist es, dass ein anderer zentraler Gegenstand von Didi-Hubermans Bildgeschichte, das bereits einige Jahre vor dem Warburg-Buch erschien, nun ebenfalls in Übersetzung vorliegt.

Der deutsche Leser findet mit beiden Büchern nun bequem die Basis von Didi-Hubermans immer noch erfrischend neuem Umgang mit Bildern. Das Buch über Georges Bataille bietet ein Komplementär der Moderne zu Warburgs Bildkombinatorik aus Antike, Mittelalter und Renaissance. Bataille gab 1929/30 gemeinsam mit Michel Leiris, Carl Einstein und Marcel Griaule die dem Surrealismus verpflichtete Zeitschrift „Documents“ heraus, worauf sich Didi-Huberman im zweiten Buch konzentriert.

Die Bildkombinatorik dieser Zeitschrift, vor allem aus Batailles Redaktionsarbeit resultierend, liest er als Fortsetzung von Warburgs Bildanalyse in die Gegenwart der Moderne. Warburg selbst war hier mit seinem Atlas genannten Tafelwerk weitgehend gescheitert. Das Herausisolieren von Details, die Vergrößerung, das Fremde im Gewohnten und die überraschende Gegenüberstellung und sei es das Gerümpel eines Dachbodens mit einem afrikanischen Tanzritual, eröffnen in „Documents“ ein bis dahin ungeahntes Spiel von Text und Bild. Genaues Lesen der Bildfolgen und Texte Batailles führt Didi-Hubermann mit einer Lektüre der kulturwissenschaftlichen Disziplinen zusammen.

War das Kombinieren und immer wieder Neusortieren der Bilder bei Warburg ein Versuch, die Welt doch noch zusammenzuhalten, zelebriert Batailles gerade den Riß oder Bruch, einen Zwischenraum, der alle Hierarchien, alle Traditionen des Weltverständnisses zersetzt. In der Begeisterung für die Wanderschaft der Formen treffen sich Warburg, Batailles und der in seiner, unserer, Zeit stehende Historiker Didi-Huberman. Was Batailles mit atemberaubender Intuition tat, dekliniert Didi-Hubermann scheinbar mühelos mit durch die Instrumentarien der Archäologie, Ethnologie, Geschichte und Psychoanalyse.

Ein Motiv Warburgs versteht er allerdings gründlich falsch, was umso mehr auffällt, als er es als eine Art Motto über das gesamte Warburgsche Denken stellt. Warburg verglich einmal den Blick auf die Kunstgeschichte mit dem in eine Hamburger Aalsuppe. Didi-Huberman sieht sogleich die Aale in der Suppe schlängeln und deutet zumindest an, welche Fundgrube hier die Freudsche Analyse haben könnte und dass sich so dem Warburgianer der Aufsatz über Schlangenrituale der nordamerikanischen Ureinwohner als Zugang zu einer Tiefenschicht in dessen Denken offenbare. In der Aalsuppe schwimmen aber keine Aale und schon gar keine ganzen. In der Suppe „kümmt allens rin“, kommt alles rein, zur Verfeinerung auch Aalstückchen. Sie ist ein erlesener Eintopf, die Begegnung der großbürgerlichen mit der bäuerlichen Küche, ein Durcheinander aus Süß und Sauer, das jedem Esser ein eigens Geschmackserlebnis bietet. Im Durchkauen wird erst etwas Ganzes daraus.

Jede Interpretation ist eine Selbstanalyse könnte man dem von Freud faszinierten Autor Didi-Huberman nachrufen. Aber wildes Denken, um den in diesen Büchern ausgelassenen Claude Lévi Strauss noch ins Spiel zu bringen, kann eben auf einen Holzweg führen, einen Weg ins Ungegangene. Damit wäre man schließlich bei Heidegger, dem Fixstern des französischen Denkens nach 1945, in dessen Wortdrechselei Didi-Hubermann aber nur selten verfällt. Normalsterbliche würden den Holzweg einfach einen neuen Weg nennen oder sagen, dass da jemand einen Weg findet, wo andere bislang nicht einmal geahnt hatten, dass man in diese Richtung hätte gehen können. Bei diesen Wegfindungen Didi-Hubermans zuzusehen ist ungemein spannend, auch wenn man manchmal ins Dickicht rufen möchte, dass es dort doch nicht lang gehen könne.

Formlose Ähnlichkeit oder die Fröhliche Wissenschaft des Visuellen nach Georges Bataille, aus dem Französischen von Markus Sedlaczek, München: Wilhelm Fink 2010, 384 S., Abb., EUR 39,90 ISBN 978-3-7705-4655-8

12.11.2011
Andreas Strobl
Didi-Huberman, Georges. Das Nachleben der Bilder. Kunstgeschichte und Phantomzeit nach Aby Warburg. 644 S. Gb. Suhrkamp, Verlag Frankfurt/Berlin 2010. EUR 44,90. CHF 72,50
ISBN 978-3-518-58553-5
 
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