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100 Jahre Deutsche Akademie Rom - Villa Massimo

„Wie (die Kieselsteine) aneinander gerieben werden, …, wie sie von Schuhsohlen oder Autoreifen traktiert und verschoben werden, so sprechen sie …, im unaufhörlichen Gewisper der Künstler, der Verwalter, der Gäste: Habt ihr schon gehört? Wer kommt da? Allein? Oder mit wem ?“ (F.C. Delius, Massimo-Stipendiat 1971/72.).
1912 erfüllt sich Johann Joachim Winckelmanns Wunsch von 1760 nach abgesicherten Arbeitsbedingungen für deutsche Künstler in Rom: Kaiser Wilhelm II. genehmigt dem jüdischen Berliner Bankier Eduard Arnhold dessen private Stiftung und Schenkung der Villa Massimo an Preußen. Dem national-liberalen Mäzen gelingt damit ein beachtenswert-bravouröser kulturpolitischer Spagat: der Kaiser, Deutschland erhielten das lange ersehnte deutsche „Künstlerhaus“ in Rom – Ort auch für jene Künstler, denen das zeitgenössische kaiserliche anti-französische, historisierende Kunstverständnis fremd war. Jenseits nationaler Anforderungen an Kunst und letztlich im Genieverständnis des 19. Jahrhunderts gründend entstand hier mit einer Oase individuell-künstlerischer Freiheit ein nicht lange währendes Idyll: bereits 1914 und bis 1928 sequestriert, folgten 1933 mit Arno Breker (Bildhauer) und Felix Nußbaum (Maler) zwei Stipendiaten, von denen der eine auf dem Weg zu Hitlers Vorzeige-Bildhauer, der andere auf dem zu seiner Ermordung im KZ Auschwitz 1944 war. Ein Stipendiat des Jahres 1936, Fritz Cremer, findet sich 1974 als Vizepräsident des Verbandes der Künstler der DDR wieder (diesen und weitere DDR-Bezüge vermisst man), womit sich die hier wohltuend differenzierend aufgezeigte Villengeschichte als Spiegelbild polarisierender deutscher Geschichte und divergierenden zeitgenössischen Kunstverständnisses erweist. Von 1947 bis 1957 dann eine zweite Sequestrierung, nun für italienische Künstler und aus der Retrospektive betrachtet Vorgriff auf die erst nach 2000 vom momentanen Leiter erfolgreich initiierte doppelte Villen-Öffnung: zu Stadt und Gastland hin und nun erstmals auch „Praxisstipendiaten“ Arbeitsmöglichkeiten bietend. Die Turbulenzen der siebziger und frühen neunziger Jahre bleiben nicht unerwähnt – eine ausführliche Institutionengeschichte von und für Kunsthistoriker also?

Die an anderer Stelle dieses Bandes zu lesende leise Mahnung, Kunstförderung und Politik immer zu trennen, könnte hier als Bindeglied zu den nun abgedruckten kurz-prägnanten Texten von Kultur-Verwaltern, Massimo-Juroren und Stipendiaten stehen. Diese Texte lassen sich als Tableau verstehen, auf dem uns die ganze Bandbreite der künstlerischen Massimo-Aktivitäten mit beispielhaften Abbildungen von Werken Bildender Kunst, Installationen und Musik präsentiert wird - allerdings nur die aus der Zeit nach 1957. Zwischen 1912 und 1943 entstandene Stipendiaten-Arbeiten bleiben, bis auf eine Ausnahme, ausgeblendet und auch wer hier warum gar nicht vertreten ist oder sein wollte, wird dem Leser nicht deutlich - zwei leidige Schwachstellen in diesem Jubiläumsband.

Mit dem Blick zurück auf unser Text-Tableau erstaunen hier häufige synchron erfahrene Gegensätze: heimatliches und römisches Studio, geschätzte und gehasste Künstlerkollegen, der Alltag im geschichtsgesättigten Rom mit dem als viel zu fern empfundenen Weltkunstbetrieb, die in Deutschland zurückgebliebene Familie, … . Bewältigungsstrategien für die Ambivalenz dieser Emotionen werden mitgeliefert und zeigen uns menschelnde Künstler, sympathisch unabgehoben. Von Zorn und Wut ist zu lesen, von Frustrationen, aber auch von lyrisch artikulierter Zufriedenheit mit der Ruhe des Idylls, des Fluchtortes. Im Idealfall fördern Konfrontationen (mit verstörendem Katholizismus, farbigem Immigranten- oder italienischem Restaurantfernseh-Alltag) und das Aufspüren von Gegensätzen schriftstellerische Kreativität. Nachzulesen ist dies, zum Beispiel, in der beschriebenen Kongruenz entdeckter Familien- und Villengeschichte mit disparater deutscher Vergangenheit und des in den glückseligen Schmerz eichendorffscher Schreibmanier getauchten und verpackten Villenaufenthaltes. Die Erfahrung, dass die Realität der Italiensehnsucht aus einer meist nur erträumten Heimat besteht, fehlt ebenfalls nicht - nicht gering zu schätzender Beweis für die tradierte Aktualität kunstästhetischer Vorstellungen in eine auf andere Art als vor 100 Jahren und nun global vernetzte Kunstproduzenten-Welt.

So finden sich in diesem Band, in dem oft die unangestrengte Atmosphäre Italiens durchzuscheinen scheint, eine Vielzahl an Informationen zu Geschichte und Kunst, über Schriftsteller, bildende Künstler, Musiker, Übersetzer und – einen Bäcker. Geschuldet ist dies dem lateinischen Kulturverständnis des heutigen Direktors, Ästhetik auch (dem Geschmack von) Alltagsprodukten zuzusprechen. In solcher Offenheit dürften die Zukunft von Villa und Künstlerförderung liegen, in der genutzten Chance, eine ästhetisch vielgestaltige Gegenwart an einem nun schon historisch gewordenen singulären Fixpunkt erfolgreich künstlerisch zu verorten. Vielleicht kann ein wenig mehr historisch-künstlerische Selbstverortung dabei helfen.

Neben einer italienischen Ausgabe dieses Jubiläumsbandes liegt mit Angelika Windholz` „Die Deutsche Akademie Rom. Villa Massimo“, Lindenberg 2010 Kunstverlag Josef Fink, ISBN 978-3-89870-606-3, 5 Euro, eine für das breite Publikum bestimmte gut lesbare Akademiegeschichte vor.

27.06.2011
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Villa Massimo. Deutsche Akademie Rom 1910 - 2010. Hrsg.: Blüher, Joachim. 304 S.29 x 25 cm. Gb. Wienand Verlag, Köln 2011. EUR 48,00
ISBN 978-3-86832-047-3
 
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