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Otl Aicher - First monograph on German graphic designer and educator

Etwas Autonomes, auf sich Gestelltes haftet dieser Persönlichkeit als Grundzug an. Verweigerung war die Voraussetzung hierzu: Verweigerung des Hitlergrußes, des Abiturs, der Offizierslaufbahn, des Studienabschlusses. Verweigerung aber auch der Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung für seine Vorhaben, bis hin zur frei finanzierten Hochschule. Er hat heftig gegen die bestehende Form der Kulturförderung und den Beamtenstatus ihrer Förderer polemisiert. Ob er mit der heutigen eingeschränkten Situation zufrieden wäre, kann bezweifelt werden. Trotz seines Querdenkertums war Otl Aicher eminent erfolgreich.

Aicher war eine früh schon charismatische Persönlichkeit, die als Schüler bereits die Aufmerksamkeit des betagten Religionsphilosophen Carl Muth („Das Hochland“) auf sich zog und im katholischen Freundeskreis in Ulm-Söflingen der führende Kopf war. Von hieraus bedurfte es nur eines kleinen Schrittes zur Freundschaft mit den Geschwistern Scholl, deren Interesse an katholischer Geisteswelt und religiösen Fragen durch ihn mitgeprägt wurde. Etwas Missionarisches haftet denn auch dem weiteren Lebensweg an. Man sieht Bilder aus Rotis, die ihn wie den König einer Diskussionsrunde zeigen. Auch Tafelrunden, denn der Herr von Rotis war ein begeisterter Koch und Gastgeber. Inge Aicher-Scholl, die Schwester Hans und Sophies, spielt in dem Buch eine vergleichsweise sehr geringe Rolle. Mit Mühe erspäht man sie auf ein paar Photos. Dabei ist ihr Einfluß bei der Neu-Gründung der Volkshochschule und bei der Begründung der Ulmer Hochschule alles andere als marginal.

Dass drei Photos (S. 15) des frühen Photographen Aicher oder seines Freundes Frido Kotz nun keinesfalls das Ulmer Münster zeigen, wie es die Bildunterschriften sagen, sondern Bauwerk der Backsteingotik, wird man als Schönheitsfehler des optisch so anspruchsvollen Buches wohl vermerken müssen.

Markus Ratgeb, der schon über Otl Aicher promoviert hatte, würdigt den international anerkannten Designer und Lehrer in einer englischsprachigen Monographie, wobei bemerkenswert ist, daß es eine deutsche Biographie des Gestalters bis heute nicht gibt. Schon im ersten Satz des Vorwortes hebt Ian McLaren Aichers Bedeutung als Polemiker hervor, „ a man who saw design as a vehicle to promote modernist values“. Was immer er kreiierte, war wohl auch als Antwort zu verstehen auf das erlebte „Dritte Reich“, so hat er die Gesamtgestaltung der Olympischen Spiele 1972 bewußt als Antwort auf das Image jener Spiele von 1936 verstanden, nun heiter und in jeder Weise weltoffen.

Begriffe wie „visuelle Kommunikation“ oder „Pictogramm“ gehen aus der Arbeit Aichers hervor und verweisen auf sie zurück. Das graphische Erscheinungsbild der Bundesrepublik in den sechziger und siebziger Jahren hat er wie kaum ein Zweiter geprägt, und wenn man sich auf die Philosophie einläßt, die hinter diesen zeichenhaft verknappten Chiffren als Bedeutungsträgern steht, dann dringt man vor zu Aichers „Hauspatron“ William von Ockham, dessen sparsamen Umgang mit theoretischen Annahmen („Ockhams Rasiermesser“) Aicher zu seiner Devise gemacht hat. Ein mittelalterlicher Scholastiker, der zusammen mit Duns Scotus wegweisend für einen funktionsbezogenen Macher wurde. Noch spät wird er ihm eine Plakatfolge widmen.

Die Pictogramme entwickeln sich zu Programmfolgen, werden zu sich weiterentwickelnden, in Abläufe oder Sequenzen eingebundenen Akteuren. Das Buch zeigt solche Abläufe eindrücklich. Es entsteht sogar so etwas wie eine Ästhetik des Pictogramms, für die siebziger Jahre typisch. Zugleich ediert Aicher Bücher über die Wüste oder über Deutschlands älteste Bäume, für das Jahrzehnt eher untypisch. Immer hatte er den Sensus für das Kommende, und so setzt ihn das Buch um: Ein Erfinder und Macher in der knappsten, oft der reduzierten Form, dessen Konzepte überzeugten: Einst hatte er seiner Freundin Sophie Scholl die Schriftsteller der neuen Katholizität nahegebracht, nun doziert er vor den lauschenden Politikern Walter Scheel, Willi Brandt und Hans-Dietrich Genscher.

Für die Frühzeit und den Aufbau der Ulmer Volkshochschule ist weiterhin Barbara Schülers Buch „Im Geiste der Gemordeten…“ Die Weiße Rose und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit (Schöningh Paderborn 2000) die gründlichste Darstellung, aus der sich die geistigen Quellen des Otl Aicher erschließen lassen.
Wer aber den gestaltenden Kopf Otl Aicher in ihm angemessener Ästhetik kennenlernen will, der wird zu diesem Prachtband greifen. Das üppige Concetto Aicherscher visueller Ideen macht erst die verbindende Gesamtidee, die diesem Kosmos der knappen Ideogramme zugrunde liegt, ablesbar. Kargheit in Opulenz ist hier Form geworden, als Buch sozusagen ein Mega-Aicher.

Erstaunlich, dass dieses Buch nur in englischer Sprache vorliegt!

21.01.2011
Jörg Deuter
Markus Rathgeb. Otl Aicher. First monograph on German graphic designer and educator Olt Aicher. Englisch. 240 S., 250 fb. Abb. 29 x 25 cm, Phaidon, London 2006. Gb. EUR 75,00
ISBN 978-0-7148-4396-4
 
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