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Heinrich wer? Heinrich Kley. Leben und Werk

Er war einmal als einer der brillantesten Zeichner der Zeit um 1900 bekannt, vergleichbar vielleicht nur mit Max Slevogt, aber heute ist Heinrich Kley (1863–1945) weitgehend in Vergessenheit geraten. Nur einmal durften seine Zeichnungen wieder eine tragende Rolle spielen. Als vor drei Jahren mit einer Ausstellungstournee von Paris bis Helsinki auf Walt Disneys Vorbilder in der Kunstgeschichte hingewiesen wurde, kamen Kleys amüsante Tierdarstellungen zu ihrem Recht. Disney hatte sie auf einer Europareise kennen gelernt, alle erreichbaren Publikationen sich besorgt und sogar begonnen, Originale zu sammeln. Seine befreit tanzenden Tierfiguren im Film „Fantasia“ (1940) profitierten von Kleys ebenso fantasie- wie schwungvollen Tierskizzen.

Der Verleger des „Simplicissimus“, Albert Langen, hatte mehrere, kommentarlose Sammlungen der Kleyschen Zeichnungen unter dem Titel „Skizzenbuch“ publiziert, mit denen der Zeichner über die Reproduktionen der Zeitschrift „Simplicissimus“ und „Die Jugend“ hinaus einem breiten Publikum bekannt geworden war. Doch schon in den 1920er Jahren wurde von einem „fast vergessenen Maler“ gesprochen, einem „unerreichten Meister der Tiergroteske“, an den man erinnern müsse. Wer dieser Künstler war, worin sein Werk bestand, das war am Ende von Kleys Leben dann wirklich kaum einem mehr bekannt. Alexander Kunkel musste also mit seiner Recherche bei Null beginnen. Erst einmal sammelte er so viele Nachweise und Reproduktionen der Werke wie möglich, um einen Überblick zu bekommen. Zu Kleys Biographie fanden sich nur dürre Archivalien, die mit dem Werk verknüpft werden mussten. Kley, in Karlsruhe geboren, studierte in seiner Heimatstadt bei dem Historienmaler Ferdinand Keller, dessen Kostümrealismus eine gute Schule gewesen sein muss. Einen ersten Erfolg feierte der blutjunge Künstler 1885, als er für eine Jubiläumsschrift der Heidelberger Universität den historischen Festzug in Zeichnungen dokumentierte. So lernte er, der eigentlich Maler werden wollte, dass mit Illustrationen wenn auch nicht viel, so doch viel einfacher Geld zu verdienen war. Ganz ähnlich verlief übrigens in diesen Jahren der Karrierestart des nur drei Jahre jüngeren Münchner Malers Franz Stuck, der zuerst als Illustrator reüssierte. Der noch gänzlich unbekannte Kley wandte sich erfolgreich an die Redaktionen von Unterhaltungszeitschriften wie „Über Land und Meer“ oder die „Meggendorfer Blätter“. Als der Münchner Verleger Georg Hirth 1896 mit der Zeitschrift „Die Jugend“ den neuen Typ einer aufwendig illustrierten Literaturzeitung kreierte, war Kley schon ab dem zweiten Jahrgang mit von der Partie.

Bis dahin waren überwiegend eigens für Zeitschriften angefertigte, bildartig durchgearbeitete Malereien auf Papier von Kley zur Reproduktion gegeben worden. Daneben hatte der Künstler begonnen, Bücher zu illustrieren und Veduten zu malen. Doch als ein befreundeter Musiker dem jungen Verleger Albert Langen die bis dahin privaten Skizzen zeigte, kam in schneller Folge das groteske Zeichnerische Werk Kleys an die Öffentlichkeit.

Seine im Akt des Malens sprudelnde Phantasie war jedoch nur eine Facette seiner künstlerischen Arbeit. Kley suchte auch die Fabrikanlagen der Schwerindustrie auf und studierte vor Ort die Arbeitsprozesse, die Maschinen und wie die Menschen mit ihnen umgehen. Es entstanden Gemälde, die zum Teil von Firmen wie Krupp in Essen oder Schiffswerften in Auftrag gegeben worden waren, überwiegend aber von Kley für seine Ausstellungen gemalt wurden, so dass man ihn in der Terminologie des 19. Jahrhunderts als Fachmaler ansprechen könnte. Nur dass sein Fach nicht mehr den alten Kategorien von Historien-, Genre-, Portraitmalerei oder dergleichen entsprach, sondern ein neues Fach der Industriemalerei etablierte. Heute werden Kleys wenige bekannte Werke allerdings vor allem von Kulturhistorikern zur Illustration historisch gewordener Industrieprozesse herangezogen. Kley erlaubte sich – über diese Spezialisierung hinaus – seine grotesken Zeichenphantasien mit den Industriemalereien zu verschmelzen, wenn er etwa die „Krupp’schen Teufel“ als dämonische Riesen in einer Werkshalle darstellt, in der sie von den Arbeitern mit glühendem Stahl gefüttert werden. In den 1920er Jahren konnte er noch zahlreiche Aufträge aus der Industrie akquirieren, während seine freien Zeichnungen zunehmend in Vergessenheit gerieten.

Aus Alexander Kunkels Dissertation wurde nun die erste Monographie zu einem Künstler der Zeit um und kurz nach 1900, den zu entdecken es lohnt. Gerade der Zeichner, der im Akt des Zeichnens das Phantastische und Groteske selbstverständlich werden lässt, verdient es, einen festen Platz in der Kunstgeschichte zu bekommen. 2011 ehren das Museum Villa Stuck in München und das Deutsche Museum für Karikatur und Zeichenkunst – Wilhelm Busch in Hannover den Künstler mit seiner ersten Retrospektive.
25.10.2010
Andreas Strobl
Kunkel, Alexander: Heinrich Kley (1863 - 1945). Leben und Werk.400 S., 30 Farbtafeln, 180 sw. Abb. 26,7 x 20,2 cm. Gb VDG-Weimar 2009. EUR 72,00
ISBN 978-3-89739-650-0
 
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