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Unsichtbare Ambivalenz

Er hat es vermutlich nie darauf angelegt, ein prominenter Autor zu werden; seine Bücher sind (noch) keine Bestseller; er tritt nicht wortgewaltig in den Medien auf. Sein Eintrag bei wikipedia umfasst nur ein Minimum an Basisinformationen. Wer den eigenartig unsichtbaren Autor Walter Grasskamp wirklich etwas näher kennenlernen will, der muss sich durch seine zahlreichen Bücher und Aufsätze hindurch lesen, die er seit den späten achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit bewundernswerter Akribie, intellektueller Neugier und mit einer Art detektivischer Besonnenheit publiziert hat. Grasskamp auf bestimmte Themen oder gar eine Methode festzulegen, ist zum Glück nicht möglich. Zu seinen Eigenheiten gehört die heute seltene Fähigkeit der distanzierten Beobachtung, die eine eigene Meinung forciert aber nicht aufdringlich vorträgt. Wichtige Informationen trägt der Autor mit Vorliebe in elegant-unterkühlter Tonlage so vor, dass man gelegentlich erst bei späterer Lektüre entdeckt, wie flüchtig man doch seine Texte rezipierte. Mit Hilfe von Grasskamps Essaysammlung „Ein Urlaubstag im Kunstbetrieb“ kann man nun die gesamte Bandbreite der Interessen dieses Autors nachverfolgen. In den meisten seiner Texte gelingt es Grasskamp, die Geschichte der Rezeption von häufig umstrittenen Werken oder Personen mit dem Geschehen seiner eigenen, biographischen Reflexion zu verbinden. Etwa wenn er zu Bert Theis‘ Installation „Philosophische Plattform“ schreibt: „Man muss das Werk sehen und es zugleich wegdenken können; das funktioniert nur in einer Mischung aus Präsenz und Erinnerung.“

Zu den dauerhaften Leistungen Grasskamps gehört es zweifellos, den eigenen Standpunkt im Betriebssystem als Ort der Reflektion zu gestalten. Wenn er beispielsweise den „kostenbarsten Besitz des Kritikers, seine Meinung“ nicht einfach bloß behauptet, sondern im Gegenteil, diese Position als ideologischen Effekt des Kunstsystems charakterisiert, das den späten Glanz und Erfolg ebenso wie die frühe Ablehnung eines Künstlers im Nachhinein zu legitimieren sucht, dann formuliert Grasskamp damit indirekt auch einen Anspruch an sein eigenes Denken.
Wer mit solchen und ähnlichen Gedanken während des Lesens konfrontiert wird, der mag seinen Aufenthalt im Leben der Kunst plötzlich mit anderen Augen beobachten. In der Antike waren, so der Autor in seinem Essay über Ian Hamilton Finlay, die Götter in Stein gehauen anwesend; in der Gegenwart ist uns der Glaube an die Kraft der Beseelung durch das Medium Kunst nicht abhanden gekommen. Von Zeit zu Zeit begegnen wir besonderen ästhetischen Momenten, an deren problematischer Einzigartigkeit wir uns später werden erinnern können. Grasskamps „Bilder und Nachbilder“ - so der Untertitel des Buches - zählen in ihrer nachdrücklichen Form der Selbstreflexion, die auch die Ambivalenzen der eigenen Urteilsfindung nicht verschweigt, mit Sicherheit dazu.

02.08.2010
Michael Kröger
Walter Grasskamp, Wolfgang Ulrich. Ein Urlaubstag im Kunstbetrieb. Bilder und Nachbilder. Fundus Bd. 188. 320 S., 16 x 14 cm, Gb. Philo Fine Arts, Hamburg 2010. EUR 16,00
ISBN 978-3-86572-576-9
 
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