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X für U. Bilder, die lügen.

Bilder lügen. Und wie. Das ist eine Binsenweisheit der Fotografie und des Films. Beinahe ein Leitmotiv der Medien im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Wie sie lügen und warum, das zeigt seit einiger Zeit die Wanderausstellung "Bilder, die lügen" der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die von einem ausführlichen Katalog begleitet wird. Ausstellung und Katalog fragen nach der Objektivität der Bilder und kommen zu dem altbekannten Ergebnis: Wir werden manipuliert, belogen und betrogen, wo es nur geht. Und das nicht nur in den bunten Bildern der Yellow Press.
Die Verfahren der Lüge sind so unterschiedlich wie die Phantasie der Manipulatoren: Da gibt es den Eingriff in das Bildmaterial, das, was man früher "Retusche" nannte - und was mit der digitalen Bildbearbeitung am Rechner heute in kürzester Zeit vollkommen perfekt und kaum nachprüfbar funktioniert: etwa, Menschen von Bildern verschwinden zu lassen, sie im öffentlichen Gedächtnis auszulöschen. Wie im Fall von Leo Trotzki, des Oberbefehlshabers der Roten Armee und Mitglied des Zentralkomitees der KP, den Stalin nicht nur im mexikanischen Exil ermorden ließ - sondern versuchte, ihn durch Bildmanipulationen aus dem Gedächtnis der Menschen zu tilgen.
Doch nicht nur Menschen lassen sich aus dem Bild löschen, sondern auch störende Plakate. So hat etwa die thüringische Landesregierung für eine Image-Broschüre ein Foto von Bill Clintons Besuch "überarbeitet": Das Plakat eines Gegendemonstranten ("Ihr habt auch in schlechten Zeiten dicke Backen") wurde aus dem Bild entfernt.
Retuschen oder veränderte Bildausschnitte können der Fotografie einen ganz anderen Inhalt geben. So polemisierte einmal die "Bild"-Zeitung gegen Jürgen Trittin: "Was machte Minister Trittin auf der Gewalt-Demo?" Doch die Beweise, die jenem Bild vorgeblich die Brisanz geben, ein Schlagstock und ein Bolzenschneider, entpuppen sich auf der Originalfotografie als Seil und Handschuh.
Eine andere Art, Bilder zu verfälschen, ist, sie mit falschen Kommentaren zu versehen. Bekannt geworden ist etwa der Fall des freien Journalisten Michael Born, der Magazinbeiträge mit gestellten Szenen und Laiendarstellern ins Fernsehen brachte - Berichte über den Ku-Klux-Klan oder kurdische Extremisten. Ein ganzes Lügen-ABC führt das Katalogbuch vor: "F" steht etwa für den "Führermythos", für die mediale Inszenierung eines Menschen zum Göttlichen, "K" für "Kalter Krieg". Doch die Lügenbilder sind auch noch heute überall.
"A" wie "Aktuelles": Nie war das Thema so wichtig wie heute. Von einem "Krieg der Bilder" ist die Rede, von einer Omnipotenz der Medien, der medialen Propaganda. Das Bild wird missbraucht und zum Instrument, bis heute, wie die Diskussionen um die Mediendarstellung der beiden Irakkriege zeigen. Vor allem die Informationspolitik der US-Regierung war in die Kritik geraten, deren "sauberer Krieg", wie sich später herausstellte, kaum der Wirklichkeit entsprach.
"Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Kriegs und nach der Jagd" sagte einst Otto von Bismarck. Der Beginn der Pressefotografie selbst ist eine Lügengeschichte: Als der englische Fotograf Roger Fenton 1855 den Krimkrieg fotografierte, verzichtete er ganz darauf, die Grauen des Krieges zu zeigen, der unter seiner Hand zur medialen Abenteuerreise mutierte.
Das Resümee ist niederschmetternd: Kein Bild ist authentisch. Warum wir immer noch an die Bilder glauben, das scheint das größte, kaum zu lösende Rätsel dieser Tage zu sein. "Wer die Bilder beherrscht, beherrscht auch die Köpfe", soll Bill Gates einmal gesagt haben. Dass er recht hat, darüber wird heute kaum mehr gestritten.
Ausstellung und der Katalog mit einem weiterführenden Text von Jürgen Reiche könnten Ansporn sein, genauer hinzusehen und wachsam zu bleiben. Denn Bilder lügen. Und wie.
Marc Peschke
X für U. Bilder, die lügen. Hrsg. v. Haus d. Geschichte d. Bundesrepublik Deutschland. 3. 100 S., zahlr. z. T. fb. Abb. Gb Bouvier, Bonn 2003. EUR 16,50
ISBN 3-416-02902-X
 
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