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Helmut Lederer. Fotograf. Retrospektive

"Helmut Lederer. Fotograf" - so der schlichte Titel einer Schau, die das Münchner Stadtmuseum dem 1999 verstorbenen Erlanger Künstler Helmut Lederer gewidmet hat (noch bis 13. Juni). Doch die Bezeichnung "Fotograf" greift eigentlich zu kurz: Ausgebildet wurde Lederer an der Wiener Akademie der bildenden Künste zum Bildhauer - und Zeit seines Lebens hat Lederer in beiden Disziplinen, Fotografie und Skulptur gewirkt.
Lange Jahre war Lederer (beinahe) vergessen: 1919 in Eger, dem heutigen tschechischen Cheb geboren, arbeitete er in den dreißiger Jahren als Filmfotograf und Regieassistent. Noch während des Studiums reiste er 1941 bis 1942 durch Italien, wo er die mythischen Orte der Architekturgeschichte besuchte - und fotografierte. Pisa, Platz der Wunder, Venedig, Markusplatz, die Stufen vor S.M. Maggiore in Rom, Pompeji, die Arena von Verona, Paestum oder der wolkenverhangene Himmel über dem Vesuv: In diesen zwei Jahren muss Lederer die Möglichkeiten der Fotografie begriffen haben. Er entwickelt seinen kargen fotografischen Stil, der vor allem die Linien der Architektur effektvoll ins Bild setzt.
1946 zeigt Lederer das zerbombte Nürnberg, bröckelnde Häuserfassaden oder eine aus erhöhter Position aufgenommene Straßenszene, die ganz der neusachlichen Fotografie der zwanziger Jahre verpflichtet ist. Im Wirtschaftswunderdeutschland reüssiert er als Architekturfotograf seiner neuen Heimat Erlangen, zeigt das nächtlich illuminierte Verwaltungsgebäude der Siemens-Schuckertwerke genauso wie Stoffballen der "ERBA Baumwollindustrie Erlangen-Bamberg" - abstrakte Stoff-Faltungen, ewige Reihungen von Garnrollen und florale Motive wie Sonnenblumen, den Schattenriss von Löwenzahnsamen oder dunkle Waldlandschaften.
Internationale Beachtung erhielt Lederer in den fünfziger Jahren, als er von Otto Steinert eingeladen wurde, sich an den drei Ausstellungen "subjektive fotografie" zu beteiligen. Diese Jahre zeigen Lederer auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Arbeiten wie "Mann vor Mauer" aus dem Jahr 1955, "In der Ausstellung" aus dem Jahr 1953 oder "Winter" von 1948 zeigen die Möglichkeiten der Schwarzweißfotografie: Reduzierte Farbpalette, strenge Komposition und subjektive, mehrdeutige Bildaussage verbinden sich zu einer beunruhigenden, ja dämonischen Kunst, die deutlich dem französischen Surrealismus verpflichtet ist. Da steht ein Mann mit Hut vor einem Scheunentor, durch leichte Bewegungsunschärfe beinahe in einen Geist verwandelt. Oder die lange, trübsinnige Baumreihe im Winter: Einige schwarze Baumstämme und das Weiß des Schnees, ganz im Hintergrund zwei Menschen im Gespräch - tiefsinnig und suggestiv zeigt sich Lederers Werk in dieser Zeit.
Seit den sechziger Jahren arbeitete Lederer für das Erlanger Kulturreferat und veröffentlicht Fotobände über den Mailänder Bildhauer Marino Marini und eine Reise, die ihn durch Mexiko führte. Es entstehen Porträts und Aktstudien, die wiederum den Bildhauer hinter dem Fotografen erkennen lassen, wie die Serie "Formen, weiblich" aus dem Jahr 1963 zeigt. Immer experimenteller muten Lederers fotografische Arbeiten jetzt an, wie vor allem auch die Serie "Zu Kafka" verdeutlicht. Dünne, deformierte Wesen bevölkern seine Fotografien, ein Menschenbild als Schattenriss, das der Auflösung entgegenzustreben scheint.
Vor allem die fränkische Heimat ist das Thema der späten Jahre. Zuerst sind es seine "Waldgänge", die Lederer mit der Kamera dokumentiert - der Wald als bedrohliches, undurchdringliches Wirrwarr aus Geäst und Büschen. Dann wendet Lederer seine experimentelle Bildsprache (die viel mit Unschärfen und Fehlbelichtungen arbeitet) ins Dokumentarische, zeigt blühende Kirschgärten, alte jüdische Friedhöfe und vor allem Fachwerkhäuser: "Tod in Franken" heißt eine Serie aus den frühen siebziger Jahren, in der Lederer das Sterben der alten, fränkischen Fachwerkbaukunst dokumentiert.
Streng im Aufbau, deutlich an Bernd und Hilla Bechers Dokumentarfotografie geschult, zeigt Lederer nun, was im Verschwinden begriffen ist. "Wenn wir begreifen würden, wie da eine Welt zerfällt, nach der Heimweh zu haben kein Zeichen von Sentimentalität, sondern von Menschlichkeit ist. Wir sollten versuchen, dies Vergehen hinauszuzögern. Nichts anderes ist das Bewahren", schrieb Walter Fenn damals über "Tod in Franken". 1981 beendete Lederer sein fotografisches Werk und widmete sich bis zu seinem Tod ausschließlich der bildhauerischen und zeichnerischen Auseinandersetzung.
Marc Peschke
Helmut Lederer. Fotograf. Retrospektive. Hrsg. Fotomuseum des Münchner Stadtmuseums. Text. Ulrich Pohlmann und Simone Förster. 192 S., 100 fb. und 75 Textabb. in Duplex. 29 cm, Kerber, Bielefeld 2004. EUR 39,80
ISBN 3-936646-49-X
 
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