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Die Geschichte der Fotografie

Es mag reiner Zufall sein: Als man im 19. Jahrhundert damit begann, die menschliche Geschichte zu verwissenschaftlichen, fiel dies in den gleichen Zeitraum, in dem Erfinder wie Daguerre und Talbot der Erinnerung ein neues Medium an die Hand gaben. Mit der Fotografie sollte es erstmals möglich sein, den Zeitfluß anzuhalten und sich vergangene Augenblicke erneut zu vergegenwärtigen. Die Geschichte der Fotografie selbst indes blieb lange Zeit unbeachtet. Zwar erschienen 1998 mit den Werken Michel Frizots und Beaumont Newhalls zwei stattliche Fotografiegeschichten auf dem deutschsprachigen Buchmarkt, doch legten diese ihr Augenmerk nahezu ausschließlich auf den künstlerischen Wert des Mediums. Mit Boris von Brauchitschs
"Kleine Geschichte der Fotografie" liegt nun eine fotohistorische Abhandlung vor, die der Fotografie in ihrer ganzen Breite gerecht werden will.
Vom Piktorialismus bis zur Becher-Schule, von der Daguerreotypie bis zum digital print - von Brauchitsch ist bemüht, alle Entwicklungen der Fotografie zu berücksichtigen. Sozialdokumentaristen wie Zille oder Arbus finden in dem 300seitigen Werk ebenso Raum wie künstlerische Positionen von Moholy-Nagy bis zu Jürgen Klauke. Doch in diesem Drang zur lückenlosen Dokumentation liegt zugleich eine Schwäche. Wo der Autor die fotografischen Strömungen bis zur europäischen Avantgarde noch unter bewährte Oberbegriffe wie "Surrealismus" und "Neues Sehen" subsumieren kann, da wird es bei jüngeren ästhetischen Moden schon schwieriger. "Voyeurismus und Intimität" oder "Inszenierte Wirklichkeit" mögen zwar Topoi sein, die dabei helfen, eigenwillige Positionen wie die Cindy Shermans oder Duane Michals zu katalogisieren und zusammenzubringen, doch Komplexität und offensichtlicher Platzmangel verleiten von Brauchwitsch gegen Ende immer mehr zum Namedroppen.
Fotografen, die mit ihren Arbeiten die Hauptpfade des Kunstmarkts verlassen haben, fallen hinten rüber. So wird weder ein Wort über die Refotografien Richard Princes oder Sherrie Levines verloren, noch geht von Brauchitsch auf die aparatlosen Fotogramme Floris Neusüs' oder Kilian Breiers ein. Und auch in der ästhetischen Würdigung verläßt sich der Autor aufs Althergebrachte. Überflutungsthesen à la Sontag verknüpft er mit Baudrillards Simulationstheorien. Und das laut Zählung im Personenregister der Name Roland Barthes häufiger auftaucht als der des Fotopioniers Nadars, macht zumindest deutlich, wie stark sich der 1963 geborene Kunsthistoriker in seiner Kritik von einschlägigen Standardwerken hat leiten lassen.
Dennoch ist von Brauchitsch in seinen Urteilen stets um Ausgewogenheit bemüht. So kritisiert er etwa an den Pressefotografien Weegees den Voyeurismus und das Abgleiten in den Boulevardjournalismus, läßt aber dennoch nicht die ironische Kommentierung und einzigartige Intensität von Weegees Schwarzweißaufnahmen außer Acht.
Berücksichtigt man, dass die gut 100 verwandten Bilder und Illustrationen des Buches den Raum für von Brauchitschs Darstellung zusätzlich einschränken, so ist es dem Autor gelungen, eine objektive und verständlich geschriebene Geschichte der Fotografie vorzulegen. Vielleicht reicht es aufgrund einzelner Lücken noch nicht zum Standardwerk. Doch sollte sich ein deutscher Verlag endlich einmal dazu durchringen, neben der "kleinen" auch die dringend benötigte "Große Geschichte der Fotografie" zu publizieren, so hätte sich Boris von Brauchitsch mit diesem Buch sicherlich die nötige Reputation verschafft.
Ralf Henselle
Brauchitsch, Boris von: Kleine Geschichte der Fotografie. 2002. 320 S., 120 z.T. fb. Abb. Gb EUR[D] 24,90
ISBN 3-15-010502-1
 
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