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Siegrun Appelt – Le Corbusier Ronchamp.

Verdunkelnd, erhellend.

Siegrun Appelt, 1965 im österreichischen Bludenz geboren, ist eine Künstlerin, deren Werk zwischen Fotografie, Lichtkunst und Medienkunst mäandert. Ihre Themen sind die großen, jene, an denen sich ganze Generationen von Künstlerinnen und Künstlern abgearbeitet haben: die Zeit, die Bewegung, Schärfe und Unschärfe, der Raum – immer wieder mit Fokus auf Fragen der Architektur. So hat sie etwa im Jahr 2009 bis 2010 gemeinsam mit der Architektin Andrea Konzett den Sakralraum im Seelsorgezentrum Lichtenberg gestaltet – ihr Werk wurde in vielen Einzel- und Gruppenausstellungen in Europa und auch international gezeigt.

Eine neue Publikation stellt nun Appelts Beschäftigung mit Le Corbusiers Kapelle Notre Dame du Haut von Ronchamp vor, mit diesem Schlüsselbau der Architekturmoderne. Das Sichtbeton-Bauwerk ist seit 2016 als UNESCO-Weltkulturerbe gelistet. „Le Corbusier Ronchamp“ heißt der Band, dessen karge, elegante Schönheit ganz offensichtlich dem Bauwerk entsprechen soll. Er beinhaltet die Fotografien, die Siegrun Appelt in Ronchamp gemacht hat: Kompositionen, die vor allem Details zeigen: Lichtführung, Oberflächen, Architekturfugen.

Der Blick der in Wien lebenden Künstlerin geht vom Detail aus. So entstehen graue, schwarze, dunkle Bilder des Baus, die oftmals in der Dämmerung entstanden sind, wie Claudia Kromrei, Professorin für Architekturgeschichte und Bautheorie an der Hochschule Bremen, in dem Buch schreibt: „Architektur mit den Mitteln der Fotografie abzubilden, Raum zu einem Bild zu machen, ist immer ein schwieriges Unterfangen – und oft eine Lüge. In diesem Fall eines so überspannten Raums wird die Wahrheit noch flüchtiger. Wenn es Bilder gibt, die den Geist von Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp vergegenwärtigen und wiedergeben, dann diese Fotografien in der schwindenden Dämmerung eines grauen Tages, in deren intimer Naheinstellung die rauen Oberflächen weich werden, die Farben schwinden und aus grober Härte feine stille tröstliche Unschärfe wird.“

Bekanntermaßen war die erste Fotografie überhaupt, Joseph Nicéphore Niépces „Blick aus dem Fenster des Arbeitszimmers im Maison Le Gras“ von 1827, ein Architekturbild. Die Fotografie-Geschichte war lange Zeit eine Geschichte der Architekturfotografie – weil die langen Belichtungszeiten keine bewegten Motive zuließen: So hatte etwa Niépces Fotografie eine Belichtungszeit von über acht Stunden.

Beide künstlerische Medien, Fotografie und Architektur, wurzeln – mehr als alle anderen – in der Wirklichkeit und orientieren sich an ihr. Bauwerke müssen sich an den Anforderungen ihrer Benutzer messen lassen, wachsen aber im besten Fall über ihre Funktion, also über die Wirklichkeit hinaus. Im Laufe der Zeit entwickeln sie eine eigene Geschichte. Genauso ist die Fotografie an die Wirklichkeit gebunden – ihr Hell-Dunkel, ihre Farben und Formen finden sich in ihr wieder. In dem Aufsatz „Ontologie des fotografischen Bildes“ hat André Bazin 1945 geschrieben: „Alle Künste beruhen auf der Gegenwart des Menschen, nur die Fotografie zieht ihren Nutzen aus seiner Abwesenheit.“ Er wollte damit sagen: Die Objektivität der Fotografie verleiht ihr Stärke und Glaubwürdigkeit.

Siegrun Appelts Bilderfolge – hier zu einem wirklich erlesenen Band verdichtet – nimmt diese Gedanken ein weiteres Mal auf und hinterfragt das Wesen von Licht und Schatten, das schon in ihren Konzepten und Projekten „Langsames Licht / Slow Light“ und „Erinnertes Licht“ von Bedeutung war. Und so ist auch „Le Corbusier Ronchamp“ eine Art Reflektion, Meditation über die Energie des Mediums Lichts, über Dunkelheit, über die Auflösung von Raum und Zeit, über unseren Umgang mit Licht, über das immaterielle Wesen von Architektur, über Objektivität und Glaubwürdigkeit. Denn natürlich steht auch hier die Frage im Raum: Ist das, was wir sehen, die Realität?

Darüber hinaus kann man diese Publikation auch als eine Hommage an den Werkstoff Beton verstehen, aus dem die Kapelle von Ronchamp in ihren wesentlichen Teilen gebaut ist: „Ich habe Sichtbeton verwendet“, erläuterte der Architekt. „Das Ergebnis: Absolute Originaltreue, völlige Exaktheit im Vergleich zum Abguss; Beton ist ein Material, das nichts anderes vorgibt … der Sichtbeton sagt: „Ich bin Beton.“ Dass diese Architektur doch so viel mehr sagt, als „Ich bin Beton“, davon erzählt dieses Buch. Verdunkelnd und auch erhellend.

02.02.2023
Marc Peschke
Le Corbusier Ronchamp. Siegrun Appelt. Fotos von Appelt, Siegrun; Beitr.: Kapfinger, Otto; Kromrei, Claudia; Hrsg.: Konrad, Verena. Deutsch; Englisch. 158 S. 72 fb. Abb. 25,5 x 21 cm. Gb. Scheidegger & Spieß Verlag, Zürich 2022. EUR 38,00. CHF 39,00.
ISBN 978-3-85881-695-5   [Scheidegger & Spiess]
 
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