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Pavel Odvody

Die Kraft des fotografischen Experiments.
„Seismographien” war der Titel einer Ausstellung, die Pavel Odvody im Sommer des Jahren 2015 in der Kunsthalle Darmstadt zeigte. Ein Seismograf ist ein Instrument, das Erschütterungen zu messen versteht, das Erdbeben registrieren kann. Aber welche Messungen führen die Fotografien des Darmstädter Fotografen Pavel Odvody aus?
Nur eine Frage von vielen, die sich beim Blättern in dem neuen Katalogbuch des Fotokünstler stellt, das gerade bei Hirmer erschienen ist. Der deutsch-tschechische Fotograf pflegt seit vielen Jahren schon einen ziemlich klassischen Umgang mit dem Licht. Was einst Avantgarde war, ist heute zur Klassik mutiert, denken wir uns beim Betrachten der Bilder. Die Fotoexperimente sind vielfältig, doch sie alle eint eine Idee: Sie führen uns in eine andere Welt jenseits des üblich Sichtbaren.
Es gibt eine lange Tradition tschechischer Avantgardefotografie – denken wir etwa an Josef Sudek, Karel Teige oder Jaromír Funke. Odvody, 1953 in Domažlice geboren, steht in dieser Tradition: Er ist ein später Avantgardist, ein später Surrealist, der mit seinen Schwarz-Weiß-Fotografien eine phantastische Welt schafft: Stillleben aus Stein, Glas oder Holz, Landschaften, Akte oder auch Porträts von Frauen fertigt er an, die ihre Augen geschlossen halten. Mehrfachbelichtungen, Lichtsilhouetten, tanzende Figuren, Fotogramme, Negativabbildungen, Menschen in Bewegung, Bewegungsunschärfe, Abstraktion durch Bewegung, Arbeiten mit Lichtwellen, die den Körper elektrisierend umschwingen. Wie ungewöhnlich sind diese Bilder heute: Diese Schwarzweißfotografie, die stets zwischen Figuration und Abstraktion mäandert, hat sich vollkommen vom gängigen Zeitgeist verabschiedet.
Natürlich ist hier vor allem das Licht der Hauptakteur. Vor einigen Dekaden sah man immer mal wieder ähnliche Arbeiten, heute ist es still geworden um die Nachfolger und Nachfolgerinnen der Fotoavantgarde. Diese Kunst, Arbeiten etwa wie „Wir sprachen über Leonardo“ aus dem Jahr 2002, ist vollkommen frei ist von politischen Implikationen. Stattdessen geht es in diesen Bildern vor allem um die Lust, den Bewegungen und Schwingungen des Lichts nachzuspüren. Das Licht selbst ist der Seismograf. Die eigene, subjektive Wirklichkeit die Erfüllung dieser Bilder.
Die Schönheit der Dinge entsteht hier stets durch Bewegung – über all die Jahre ist sich der ehemalige archäologische Zeichner treu geblieben. Diese Konstanz offenbart das schlicht „Photography“ betitelte Buch, dem auch zwei erhellende Texte von Celina Lunsford und Julia Hichi beigegeben sind.
Celina Lunsford weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass wir es hier mit Kameratechniken zu tun haben, die man heute wieder erklären müsste, worauf wir an dieser Stelle verzichten wollen. Doch es stimmt schon: In der digitalen Ära geht einiges an Wissen über analoge Fotoexperimente verloren. Schön auch Lunsfords Hinweis, dass es die „Abgeschlossenheit des Ateliers“ ist, aus der die Tiefe dieser Bilder erwächst.
Manche Stillleben mit Noten oder einer Violine mag man für kitschig halten, alles in allem aber sind diese Bilder neuerliche Beweise für das Wunder des Fotografischen. Julia Hichi erklärt in ihrem Beitrag, wie Odvodys Körpervernetzungen der Serie „Seismogramme“ entstehen. Mit Punktlichtquellen, mit denen der Fotograf am Aktmodell entlangfährt. Doch eigentlich wollen wir gar nicht so genau wissen, wie diese Langzeitaufnahmen gemacht werden.
Wir wollen lieber einfach nur staunen über diese zeichnerischen Licht-Kokons, den das jetzt erschienene Buch mit 217 Abbildungen auf 192 Seiten adäquat vorzustellen vermag. Es ist eine Wohltat, mal wieder solche Bilder zu sehen. Die Welt, auch die des 21. Jahrhunderts, sie wird verzaubert. Verzaubert durch die Kraft des fotografischen Experiments.

17.01.2022
Marc Peschke
Pavel Odvody. Photography. Englisch; Deutsch. 2021. 192 S. 217 fb. Abb. 28 x 24 cm. Hirmer, München 2021. EUR 34,90. CHF 42,60
ISBN 978-3-7774-3872-6
 
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