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40 Tage in Zeiten der Corona-Krise

Fotografische Momentaufnahmen aus pandemischer Zeit.
Das Nahe wird wichtig, wichtiger, das persönliche, häusliche Umfeld. Das Essen, vielleicht geliefert, auf dem Tisch, das Spiel mit der Katze, die Zimmerpflanzen als Gesprächspartner, so eine Bildlegende. Die Mülltonne, der Gang zur Mülltonne. Das Draußen im reduktionistischen Blick. Vom Balkon, in den eigenen oder fremden Garten, auf Straßen, Geschäfte. Hinein in viel Leere, kaum Bewegung. Ausgangsbeschränkungen, Ausgangssperren, vulgo Lockdown.

400 Aufnahmen, zuerst auf facebook gestellt, aus zehn Städten, Berlin, Budapest, Warschau, Minsk, Lwiw, Paris, London, Amsterdam, Mailand, Oslo. An 40 Tagen, vom 25. März bis zum 3. Mai 2020. Aufnahmen von elf Fotografinnen und Fotografen, davon zehn aus Osteuropa. Unser medial westlich geprägter Blick erweitert sich auf ein wieder grenzenlos vereintes Ost- und Westeuropa. Blicke auf das Gleichmacherische der Banalitäten des europäischen Alltages, das individuelle Umfeld. Sensationelle Aufnahmen sind hier nicht zu erwarten. Nun werden Akzente wichtig. Der scheue, noch unbeholfene fotografische Umgang mit der neuen Situation, das inspirierende Experiment mit dem gedoppelt, doch farblich unterschiedlich erscheinenden Bildausschnitt. Gegenwelten erscheinen, das nun bewußt fotografierte Archivfoto einer früher lebendigeren Welt, die Baumblüte dieses Frühlings 2020. Versuche zu verstehen.
Dabei fallen zwei Fotografen auf, nicht nur durch ihre ausführlichen Bildlegenden. Wie der 91-jährige Warschauer Meisterfotograf Tadeusz Rolke, der in einem seiner Fotomotive die historische Kontinuität von staatlich verordnetem Zwang und von Angst dokumentiert sieht. Man muß diese historisierende Interpretation nicht teilen, doch kann sie zur Reflexion über Zusammenhänge anregen. Rolkes Fotografien, meist Objekte, beeindrucken noch immer, doch es sind die Fotografien der weit jüngeren Minsker Dichterin und Fotografin Yulya Cimafiejeva, deren Fotografien sich dem Bildgedächtnis besonders einprägen. Mit Motiven in einer atmosphärischen Dichte, schwierig zu beschreiben, in der die Vereinzelungen in dieser Zeit eindrucksvoll eingefangen sind. Besonders dann, wenn der fotografische Blick von innen nach draußen wie eine Trennung erscheint, die sich dann im Draußen-Motiv wiederholt. Jenen Einzelnen etwa, alleine, deren Wege dort von Geländern, Zäunen, Absperrungen begrenzt werden. Realität wird hier nicht nur abgebildet, sondern weist über sich hinaus. Man wünscht sich diese Fotografien zu einer Serie zusammengestellt.
Nun, dieses Buch. Subjektive, oft gelungene fotografische Versuche, den Beginn der Corona-Krise mit ihren alltäglichen Zwängen im gesamteuropäischen Zusammenhang zu verstehen, zu dokumentieren.

02.11.2020
Wolfgang Schmidt
#anotherday. 40 Tage in Zeiten der Corona-Krise: Fotos aus zehn Städten Europas. Hrsg.: Rostek, Andreas; Westphal, Regelindis; Fotograf / Fotografin ANDRZEJEWSKI, MARCIN; BOJAROV, ANDRIJ; CIMAFIEJEVA, YULYA; Halas, ISTVAN; MANELLI, GIULIA; Michalak, Wanda; MORAWETZ, GABRIELA; POZNIAK, MAREK; ROLKE, ZARECHNYUK, OLHA. Deutsch; Englisch. 88 S. 21 x 21 cm. EUR 18,00. Edition frölich, Berlin 2020 CHF 20,00
ISBN 978-3-9820807-5-8
 
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