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Die deutsche Zeit der amerikanischen Mänaden

Gesellschaftliche Normen und traditionelle Tanzformen warf sie leichthin über Bord. An ihr schieden sich die Geister in hingerissene Bewunderer und ebenso leidenschaftliche Kritiker. Doch der Spott, sie wolle das Land der Griechen mit der Seele suchen, den man ihr mit einem Goethe-Zitat hinterher rief, war auch Ausdruck unverständigen Staunens - bis in den Umkreis des deutschen Kaisers Wilhelm II. reichte die Bewunderung. Isadora Duncan, tänzerische Autodidaktin und Initiatorin des modernen Ausdruckstanzes, kam 1902 zu ersten Auftritten nach Europa und gründete 1904 in einer Villa im Berliner Grunewald ihr erstes Tanzinternat. Eine umfassende Ausstellung zu ihrem und ihrer Schwester Elizabeth Wirken in Deutschland, vom Deutschen Tanzarchiv in Köln erarbeitet, 2000 dort und 2001 im Berliner Georg-Kolbe-Museum gezeigt, wird von einer Publikation begleitet, die eine glückliche Mischung zwischen akademischem Aufsatzband, Fotosammlung und Katalog darstellt.
Die Buchtitel zu Isadora Duncan gehen in die Tausende, da stellt sich der Leser, wie der Herausgeber Frank-Manuel Peter, natürlich die Frage: "Warum dann aber ein weiteres Buch?" Weil, so antwortet der Leiter des Kölner Archivs im Eröffnungsbeitrag, die Duncan-Forschung meist aus amerikanischer Sicht und verstärkt über das dortige Wirken der Tänzerin und Pädagogin urteilt; ihre europäischen, besonders die deutschen Jahre erschienen häufig in schwachem oder falschem Licht. Peters Kritik liest sich streckenweise akademisch, die Ernsthaftigkeit seiner Absicht, die Forschung zu beleben, beweist sich aber an ausführlichen, überzeugenden Belegen und der durchgehenden Zweisprachigkeit der Buchbeiträge und damit einer Verwendbarkeit des Buches auch im anglo-amerikanischen Bereich. Text und Abbildungen vermitteln heitere bis unerwartete Einblicke in Leben und Arbeit der Schwestern.
Aufschlussreich beleuchtet die Berliner Tanzhistorikerin Evelyn Dörr, wie die deutsche Kritik Isadora von 1902 bis 1924 euphorisch bis spöttelnd kommentierte, und zusammen mit den weiteren acht Beiträgen entsteht ein atmosphärisch dichtes Gesamtbild des europäischen Lebens und Wirkens der beiden amerikanischen Duncan-Schwestern. Teils erstmals veröffentlichte Erinnerungen - Konrad Müller-Fürer über die
"Freitanz-Schulen", Lore Lindig über ihre Jahre an der Duncan-Schule in Klessheim bei Salzburg und der österreichische Musiker Max Merz, Co-Rektor der Schule - ergänzen die Untersuchungen der Tanzhistorikerin Hedwig Müller über Anna Duncan, eine der von Isadora adoptierten Schülerinnen, der "Isadorables", und des Kunsthistorikers Rainer Stamm zum Verhältnis der Duncan-Schule zum Hagener Folkwang-Museum. Isadoras 1906 abgelegen publizierter, schwer erreichbarer Essay "Meine Kunst" und eine 1937 verfasste, im Bundesarchiv verwahrte autobiografische Notiz ihrer Schwester Elizabeth runden das Bild mit originalen Stimmen ab. Ausführlich, aber auch übersichtlich genug ist die Zeittafel; zudem ist es bemerkenswert, dass keine Bibliographie abgedruckt wurde. Diese ist, stets um aktuelle Beiträge ergänzt, auf der Homepage des Deutschen Tanzarchivs (www.sk-kultur.de/tanz) zu finden -- eine vielleicht umständliche, aber nachahmenswert praktikable Lösung. Insgesamt eine gelungenen Publikation über die bedeutende Pionierin des modernen Tanzes.


Götz J. Pfeiffer
Peter, Frank-Manuel u.a. Isadora & Elizabeth Duncan in Deutschland. 184 S., 95 Abb., 28 cm, HC; Euro 32,72
ISBN 3-87909-645-7
 
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