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Dr. Paul Wolff und Tritschler. Licht und Schatten

Endlich! Wer sich für Fotografie in Deutschland zwischen 1920 und 1950 interessiert, kommt um Paul Wolff nicht herum – und diesem Umstand wird nun erstmals in gebührender Ausführlichkeit Rechnung getragen. Als Begleitband zu einer Ausstellung im Wetzlarer Ernst-Leitz-Museum [noch bis zum 26. Januar 2020] ist das großformatige Buch, das hier angezeigt werden soll, solide gestaltet: hohe Druckqualität lassen die Fotografien strahlen, das Layout ist funktional-zurückhaltend und stringent, die Textbeiträge sind differenziert und durchaus kritisch. So soll es sein – und so ist es denn auch geworden.
Herausgeber Koetzle, der mit großem Schwung Leben, Werk und Wirkung des Großfotografen Wolff – keiner publizierte in seiner Zeit mehr als der – beschreibt und den Leser für den Gegenstand regelrecht begeistert, erklärt zu Beginn des Bandes ein merkwürdiges Phänomen: die Fachwelt (weniger die Fotografen als die Fotohistoriker) hat Wolff lange sträflich ignoriert – der promovierte Mediziner galt als „Amateur“. Das freilich offenbart ein merkwürdiges Bild von Professionalität. Ist man denn Profi nur mit einer Ausbildung im Metier? Dann wären auch Peter Behrens, Walter Gropius und Le Corbusier Amateure gewesen, ja die ganze Moderne bestünde aus Amateuren. Es kann einem meisterhaften Fotografen wie Wolff doch nicht ernsthaft angekreidet werden, daß sein Vater auf einem Lehrberuf bestand, obwohl der Mann schon als Kind nichts Anderes wollte als knipsen.
Sei`s drum – um den vorliegenden Band kommt die Forschung nun nicht mehr herum. Auch mit den vielen Deutungsmöglichkeiten des Wolffschen Werks im Kontext der Zeit wird man sich beschäftigen müssen. So wird einerseits deutlich, dass Wolff – der in seiner künstlerischen Haltung „gemäßigter“ Modernist war – sich kontinuierlich mit der ästhetischen Avantgarde auseinandersetzte, die Tricks, Lichteffekte und Verwirrspiele des „Neuen Sehens“ einsetzte, wo es ihm sinnvoll erschien, aber als Bildpublizist mit Anspruch auf Breitenwirkung niemals seinen dokumentierten Gegenstand zum Kunstobjekt verzerrte. Dem steht andererseits Wolffs Offenheit für zeitgemäße Technik gegenüber: er gilt als Pionier, gar als „Zauberer“ der Kleinbildformatkamera Leica – wobei die Monographen Wolffs Leica-Arbeit hier durchaus stärker vergleichend hätten würdigen dürfen, denn auch Reporter wie Henri Cartier-Bresson oder Künstler wie André Kertesz haben sich frühzeitig für die Apparate aus dem Hause Leitz begeistert, was sich wiederum auf die Bildästhetik ihrer Fotografie ausgewirkt hat.
Wolff, gebürtiger, nach 1918 ausgebürgerter Elsässer mit hessischer Exilheimat, ist natürlich DER Frankfurtfotograf der Zeit zwischen 1920 und 1950. Die Bildbände über die Altstadt, aber auch über die neuen Siedlungen und die modernen Großbauten der 1920er Jahren werden in gleich mehreren Aufsätzen umfassend analysiert – bis hin zu den massiven Kriegszerstörungen und der Auslöschung der Altstadt, die Wolff ebenfalls dokumentierte.
Eine kritische Haltung nimmt der Herausgeber gegenüber Wolffs Rolle im „Dritten Reich“ ein. Nahtlos führte er seine Karriere weiter, stellte seine Arbeit in den Dienst von Staat und Partei und kassierte etliche Aufträge. Überhaupt spielt in der Publikation auch das Geld und das Geschäft immer wieder eine Rolle, denn der Mann, dessen Werk geschätzte 700.000 Aufnahmen umfaßt, hatte ein florierendes Bildunternehmen (an dem u.a. der im Titel miterwähnte Alfred Tritschler) beteiligt war und bestritt davon einen durchaus mondänen Lebensstil.
Wer sich also für Fotografie in Deutschland zwischen 1920 und 1950 interessiert rufe – im Chor mit dem Rezensenten -: „Endlich!“, freue sich, lese und staune.

02.08.2019

Christian Welzbacher
Dr. Paul Wolff & Tritschler. Licht und Schatten. Fotografien 1920 bis 1950. Hrsg,; Koetzle, Hans-Michael; Beitr.: Hock, Sabine; Kaufman, Randy; Koetzle, Hans-Michael; Lemke, Kristina; Osterloh, Günter; Picard, Tobias; Piffl, Gerald; Uchibayashi, Shun; Wiegand, Thomas. 464 S. 967 fb. Abb. 29 x 25 cm. Kehrer Verlag, Heidelberg 2019. EUR 78,00.
ISBN 978-3-86828-880-3
 
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