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Viviane Sassen – Umbra.

Lob des Schattens


Eines der größten Rätsel um die rätselhaften Fotografien von Viviane Sassen bleibt die formelhaft wiederholte Einordnung dieser Bilder als „Modefotografie“. Denn auch, wenn die niederländische Fotografin für Modelabels gearbeitet hat, so zeigen ihre Arbeiten im Gegenteil gerade die Abwesenheit der Mode.

Das zeigt schon das Cover ihres neuen Buchs „Umbra“: Eine Silhouette einer Person ist zu erkennen. Schwarz. Nur ein Umriss. Auch ein wenig tiefes Blau leuchtet den Betrachter an. Immer wieder sind es solche Schattenwesen, die uns Sassen zeigt. Überhaupt ist ihre ganze Fotografie ein Lob des Schattens: Überall liegen oder stehen hier Figuren im Schatten, effektvoll kontrastiert zu einer leuchtenden, hellen Sonne.

Inzwischen ist das Werk der 1972 in Amsterdam geborenen Fotografin bekannt. Einige Ausstellungen haben ihre surreale Kunst auch in Deutschland vorgestellt. Es ist die Bildsprache, die sofort für Sassen einnimmt. Diese zeigt sich in den neuesten Fotografien nochmal abstrahierter. Wie wenig die Fotografin braucht, um Bilder anzufertigen, die sich durch die Augen ins Herz bohren: Welcher anderen Fotografin gelingt es, einen Benzinkanister auf so aufregende, ungesehene Weise zu fotografieren?

Mal arbeitet sie mit Spiegeln, dann baut sie lakonische, doch beunruhigende Arrangements aus Alltagsgegenständen, dann fügt sie Farbflächen in ihre Bilder ein, dreht die Motive um – abstrahiert die Welt, wendet sie in etwas Unheimliches. Das Ungewöhnlichste vielleicht sind diese starken, intensiven Farben, die so spielerisch aus den Bildern strahlen, dass man ganz verrückt wird.

Überhaupt kümmert sich Viviane Sassen gar nicht um Konventionen. Sie streift die verschiedenen fotografischen Genres, mischt vieles mit einer Experimentierlust, die man lange vermisst hat. Neben ihren Bildern sehen die meisten Beispiele aktueller experimenteller Fotografie, von sagen wir Ruff oder Tillmans, aus wie eher beliebige Fingerübungen.

Ein bedeutsames Merkmal ihrer Fotokunst ist stets: Nie zeigt sie die Gesichter derer, die sie fotografiert. Ganz deutlich will sie ihre Bilder, die vornehmlich in ihrer alten Heimat Ostafrika entstehen, in der Sphäre der Illusion belassen: Aus Licht, unheimlichen Schatten und Formen baut sie traumhafte Welten, die aus dem Alltag stammen, diesen aber immer hinter sich lassen.

Stets steckt auch eine latente, rätselhafte Gewalt in ihren Werken. Eine frisch ausgehobene Grube, ein liegender Mensch, ein paar blasse Säcke mit Müll, die müde wirkenden Blumen und Pflanzen: Immer wieder assoziieren wir den Tod in diesen Bildern, was an die besten Arbeiten Arakis erinnern mag. Auch diese sickern tief ein in den Betrachter. In ihrer Fremdartigkeit und Exotik.

Manche Fotografie ist nicht so zwingend. Eine Wolke im Himmel. Nun gut. Eine rote Folie, die sich vor einen Berg schiebt. Andere, abstrakte Farbflächen. Doch dafür sind wieder andere Bilder spektakulär: Die schwarze Hand, die aus einer weißen Fläche auftaucht, die beginnt, ein Eigenleben zu führen – das erinnert an Inkunabeln des Surrealismus. Der zentrale, so gefeierte Ort der Surrealisten war das Unterbewusstsein. Hier schließt Sassen direkt an, wenn sie über ihre Arbeit in Afrika sagt, wo sie als Kind drei Jahre gelebt hat: „Es verbindet mich mit meinen Kindheitserinnerungen und ich habe dann nachts immer sehr lebhafte Träume. Als wäre mein Unterbewusstsein viel aktiver, wenn ich dort bin.“

Ob aktives Unterbewusstsein, reine Imagination oder gewollte Andersartigkeit: Diese bisweilen groteske Fotokunst elektrisiert den Betrachter, macht Gänsehaut. Vielleicht so sehr, weil Sassens Bilder die Grenzen der Künste immer wieder in Frage stellen. Sie selbst sieht sich nicht so sehr als Fotografin, sondern eher als jemand, der Skulpturen schafft.

Ist dieser Blick auf Afrika kolonialistisch? Zeigt sie uns einen dunklen, magischen Kontinent? Sicher nutzt sie die Fremdartigkeit und Exotik für ihre Zwecke, doch nie haben ihre Bilder etwas Voyeuristisches. Im Gegenteil weiß Sassen, dass Fotografie mehr bedeutet, als Dinge ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Und so darf man ihre Bilder lieben, die in diesem exquisiten Buch ganz ohne erklärenden Text (nur begleitet von einigen Gedichten der Amsterdamer Autorin Maria Barnas) auskommen: Als Kunstwerke, die auf deutliche Weise ihre eigene Subjektivität ausstellen. Die alles vermeiden, um ihr eigenes Rätsel vorschnell preiszugeben.

Noch anzumerken bleibt die ungewöhnliche Gestaltung des großformatigen Bandes: Es ist ein Buch, das anders ist: Es wechseln sich mattes, leicht transparentes und glänzendes Papier, wobei das matte oben nicht geschnitten ist. Eine schöne, ungewöhnliche Idee für ein Künstlerbuch, die doch ratlos stimmt, denn so ist das Buch nicht durchgängig gut lesbar – ein weiteres Rätsel im Werk von Viviane Sassen.

08.04.2016
Marc Peschke
Viviane Sassen Umbra. 196 S. 200 fb. Abb. 35 x 26 cm. Engl. Gb. Prestel Verlag, München 2015. EUR 59,00. CHF 75,00
ISBN 978-3-7913-8160-2
 
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