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Shanghai Blues – Ein Stückchen Wildwuchs in der Stadt

„Shanghai Blues“ von Vanja Vukovic und Matthias Göritz
In dem neuen Frankfurter Verlag „Edition Faust“, der auch die Kulturplattform Faust-Kultur betreibt (www.faustkultur.de), ist jetzt mit „Shanghai Blues“ ein Buch mit Fotografien von Vanja Vukovic und einer Erzählung von Matthias Göritz erschienen. Der schmale Band ist beides: eine Fotobuch und ein literarisches Werk – und dazu noch eines, das grundlegende Fragen über das Leben in den Städten zu Kunst verdichtet.
Schon seit einigen Jahren beschäftigt sich die Frankfurter Fotokünstlerin Vanja Vukovic mit der Frage, wo sie genau liegen – die Schnittstellen zwischen dem öffentlichen und privaten Raum. Schon das Titelbild von „Shanghai Blues“ bringt ihr Thema auf den Punkt: Die Fotografie ist zweigeteilt, oben die Kulisse der Megalopolis, unten ein grauhaariger Mann, der, still und versunken, an einem Wasser sitzt, in dem sich Häuser spiegeln.
Wie genau diese beiden Bilder zusammenpassen, wie sie montiert, gespiegelt, miteinander in Verbindung gebracht worden sind, ist vielleicht nicht so wichtig, grundlegend in Vukovics Werken ist aber immer wieder diese Frage: Wie wirkt die Großstadt auf die Menschen? Die fotokünstlerische Bearbeitung dieser Frage hat eine enorme Tradition, doch gelingt es der gebürtigen Montenegrinerin in ihrer Serie „Plastic Invader“, eine neue, persönliche Sprache zu finden. Shanghai ist der Ort ihrer Fotografie – und auch hier spielt die Erzählung von Matthias Göritz.
In Text und Bildern sind es die Reibungsflächen des Lebens in der großen Stadt, welche Autor und Bildautorin interessieren, die Grenzen zwischen Natur und gebauter Welt, die tristen Grünstreifen neben den Straßen, die Baumkronen vor den Hochhausfassaden. Dr. Simone Kraft hat in ihrem Buchbeitrag darauf hingewiesen, dass die organisch gewachsene Natur immer mehr aus den Stadträumen verschwindet und dass sich urbane Entwicklungen gerade in Asien in zum Teil extremen Dimensionen vollziehen: „Immer größer, großflächiger wird extrem verdichtet gebaut ohne Rücksicht auf natürliche Rhythmen – weder der Bewohner, noch der Umwelt.“
Doch die bloße Kritik an den Verhältnissen, die schon eine sachliche fotografische Dokumentation üben könnte, ist Vukovics Sache nicht. Unschärfen, Überlagerungen, Montagen, Collagen, Spiegelungen: Die Fotografin begegnet der Künstlichkeit im Urbanen, der „Invasion des Plastiks“, mit den Mitteln der fotografischen Avantgarde, verrätselt die Orte, die sie fotografiert. Vielschichtigkeit, Mehrdeutigkeit: Vukovic weiß, dass nicht immer der nüchterne Blick auf die Dinge hilft, sie besser zu verstehen.
Am Ende ist es Poesie, fotografische Poesie, ganz unromantisch. Eine andere Fotografie: ein Stückchen Wildwuchs in der Stadt. Gräser, Farne und Bäume vor einem Hintergrund aus Bauholz und Plastikplanen. Das ist eine schöne Metapher: Die Natur erobert sich ihren Raum zurück. Oder ist es umgekehrt? Wird sie immer mehr zurückgedrängt? An genau dieser Schnittstelle zündet die Fotografie von Vanja Vukovic – und hält auf wundersame Weise die Zeit an.

06.07.2015
Marc Peschke
Shanghai Blues. 20 Fotoarbeiten von Vanja Vukovic aus Shanghai-Serie »Plastic Invader« und die Erzählung »Shanghai Blues« von Matthias Göritz. 2015. Göritz, Matthias; Vukovic, Vanja. 56 S. 23 x 17 cm. Gb. Edition Faust, Frankfurt 2015. EUR 24,00. CHF 34,50
ISBN 978-3-945400-15-9
 
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