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Beyond Cold War

Was ist hier passiert?
Der Kalte Krieg ist kein neues Thema einer fotokünstlerischen Arbeit. Der niederländische Fotograf Martin Roemers etwa hat sich vor einigen Jahren schon auf die Spuren des großen Ost-West-Konflikts in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemacht. Er fand rostige Panzer, alte Bunkeranlagen, Denkmäler, die schon halb verfallen waren. Seine fotografische Spurensuche war konkret: Er blickte auf die Dinge, die der Konflikt zwischen den Westmächten und dem Ostblock hinterlassen hatte, fand Relikte einer scheinbar vergangenen Systemkonfrontation.
Heute, wo sich ein neuer Kalter Krieg zu entwickeln scheint, sind solcher Bilder von großer Aktualität. Auch der junge Fotograf Robert Schlotter hat sich mit seinem soeben erschienenen Buch „Beyond Cold War“ dem Thema gewidmet, doch ist seine Herangehensweise eine andere. Während Roemers mit seiner Serie das dokumentiert hat, was vom Kalten Krieg übrig geblieben ist, zeigt uns Schlotter ganz andere Bilder, die dennoch eine ähnliche Stimmung evozieren.
Auf den ersten Blick sind es schlichte Landschaften, die er in dem schmalen, gut gestalteten Band präsentiert. Es geht ihm nicht darum, zu zeigen, wie der Kalte Krieg diese Landschaften verändert hat, sondern wie die Grenzregionen zwischen Ost und West selbst in ihrem Zustand scheinbarer Unberührtheit ihre sehr besondere Geschichte erzählen.
„Ich befrage die Aura der Landschaft vor dem Hintergrund des Wissens um ihre Geschichte mit den Mitteln der Fotografie“, schreibt Schlotter, der an der Fachhochschule Bielefeld Fotografie studiert hat. „Mein Hauptaugenmerk liegt auf der Landschaft der Grenzregionen, welche durch die politische und strategische Relevanz der entsprechenden Gebiete im Kalten Krieg eine gewisse Mystifizierung erfahren hat. Von beiden Seiten aus stellte sich die Frage nach der ‚Welt’ hinter der Grenze.“
Seine unter anderem an der norwegisch-russischen Grenze, an der ehemaligen innerdeutschen Grenze im Harz, in der Türkei und im Ostseeraum Dänemarks fotografierten Bilder sind von subtiler Suggestionskraft. Was ist hier passiert? Wo sind die Spuren des Konflikts? Oftmals finden wir keine, blicken auf Wälder, Gebirge und Seen, schauen auf sattgrüne Wiesen und sind dennoch beunruhigt. Dem 1981 in Jena geborenen Fotografen gelingt es, uns beim Betrachten der Bilder eine gehörige Portion Unbehagen einzuimpfen. Man fühlt sich beobachtet, ausgespäht, ausgehorcht. Aber da ist ja niemand mehr. Oder?
Einige Häuser stehen in der Landschaft herum. Mal führt ein Pfad über eine Wiese, mal ein Weg durch einen Wald. Doch auch diese Spuren des Menschen machen die Orte nicht zu Schauplätzen der Geschichte. Die Suche nach geheimen Unterständen, nach Bunkern, nach Abhörstationen ist umsonst. Warum? Es ist unser Blick, unsere Suche nach Verwertbarem, die Robert Schlotter interessieren. Jede Reifenspur nehmen wir als Indiz: Ja, genau! Hier ist damals etwas passiert! Könnte sein. Muss aber nicht.
Diese Fotografien entziehen sich: Sie sind nicht leicht lesbar – oder nur auf eine Weise: Diese nüchternen, wenngleich sehr genau komponierten Landschaftsbilder erzählen mehr über den, der sie anblickt, als über sich selbst. Sie machen die Erwartung des Betrachters zum Thema. Sie spiegeln einen erwartungsvollen Blick.

27.03.2015
Marc Peschke
Beyond Cold War. Fotograf: Schlotter, Robert; Beitr.: Montag, Andreas; Knierim, Fabian. Dtsch;Engl. 116 S. fb. Abb. 27 x 22 cm. Engl Br. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2014. EUR 24,95 CHF 34,95
ISBN 978-3-95462-411-9
 
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