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Venetian Settings

Man muß ihn mögen, diesen konzentriert-strengen Architektenblick, sich zur Bildmitte hin häufig perspektivisch verengend, auf eine Gasse, einen Kanal, ein Haus mit einem erhellten Fenster, erleuchtete Fassaden (so das Umschlagfoto). Hier reckt sich nichts wie auf Ansichtskarten mit „Aha“-Effekt vor uns auf. Ein verschlüsseltes Venedig liegt vor uns und seine Entschlüsselung bei uns, in unserer Imagination.

Die hier auf 60 Farbfotografien nachts, tags und wieder nachts gezeigte Stadt kennen wir nicht, nur zwei, drei Orte, die Piazza San Marco, die Rialto-Brücke. Aber selbst sie scheinen, so wie hier fotografiert, aus unserer Erinnerung zu verschwinden: die Piazza San Marco, eine strenge, fast fensterlose Ziegelwand (der Campanile), eine mehrstöckige, gegliederte Renaissance-Fassade (die Prokuratorien) die in der Bildmitte auf die so sehr byzantinische Dogenpalast-Wand mit Fenster zustößt ? Ähnlich die schräg von unten fotografierte und so nicht gleich erkennbare Rialto-Brücke, zumal sich hinter ihr kreuz und quer verschiedene Bauten und Baustile ins Bild schieben. Bekrönt von einer, kaum zu glauben, eisengitterumzäunten, betonüberzogenen Altane. Der Einbruch unserer Zeit in die auf diesen Fotografien so gegenwärtige südländisch-versöhnende Harmonie des für uns Gegensätzlichen – nicht nur der Baustile.

Doch nicht nur die Harmonie der Gegensätze mildert die architektonische Strenge der Fotografien. Denn diese tags und nachts menschenleere Stadt ist zugleich auch Bühne, Kulisse des Fotografen für Szenenbilder: nur wenige der vielen Fenster in einer Fassade zum Kanal hin sind erleuchtet – was geschieht dort ? Hinter den beiden wäscheleinenbespannten Fenstern in einer abblätternden Kanal-Hausfassade – wer lebt dort ? Alles scheint verschlossen, abgeschlossen, unzugänglich, geheimnisvoll, ein Arkanum. Und geöffnete Fenster zu entfernt, zu klein, um Erzähltes zu hören, Musik, ein Singen, Zanken. So wird uns die Dimension des Hintergründig-Doppelbödigen zum ungerufenen Begleiter dieser Fotografien: huscht dort nicht jene Zwergin mit rotem Kapuzenmantel aus „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ (1973) vorbei ? Doch die Paranoia des Film-Protagonisten ist nicht unsere, die Täuschung genügt: Wir haben uns in dieser Stadt getäuscht, wir sehen sie neu, so noch nicht gesehene Orte, Orte unbekannt bleibenden Lebens, unerzählter Geschichten. Venedig, dieser mehrdimensionale Kosmos des Nicht-Perfekten, hier liebevoll-streng abgebildet.

Was bleibt zu sagen ? Wenig. Ein ĂĽberzeugender Fotoband, auch typographisch, der durch handwerkliche Perfektion, strenge Bescheidung und Konzentration auf das Wesentliche wirkt. Auf alle nicht vorlauten Freunde Venedigs. Und auf Architekten.

11.03.2013

Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Venetian Settings. Fotos von Meisse, Maximilian; Vorwort von Stein, Bernhard. 96 S. 60 fb. Abb. 24 x 16 cm. Gb. Wasmuth Verlag, TĂĽbingen 2012. EUR 29,80. CHF 40,90
ISBN 978-3-8030-0762-9
 
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