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Geschlossene Gesellschaften - Eine fotografische Reise durch kommunistische Länder

In der Theorie ist die Praxis wunderbar, doch im politischen Alltag offenbart sich die Theorie immer wieder als fauler Zauber. Das denken wir, wenn wir durch das Buch „Geschlossene Gesellschaften“ von Tomas van Houtryve blättern. Es ist ein kleinformatiger, doch opulenter, schwerer Band, der auf vielen Seiten die Praxis des Lebens in kommunistischen Ländern vorstellt. In Bildern und Texten.

Tomas van Houtryve – der die Faszination für die Fotografie in Nepal entdeckte und heute Mitglied der renommierten Fotografenvereinigung VII ist – arbeitete sieben Jahre an seinem Buch. Er bereiste Nordkorea, Nepal, Vietnam, Laos, Moldawien, China und Kuba – und fand dort viel Unterschiedliches, aber auch Gemeinsamkeiten.

Die fotogene, tropische Ruinen-Romantik Kubas ist uns bekannt, doch dieser Fotograf hat mehr zu bieten als touristische Souvenirs: Es sind dichte Bilder von Menschen und ihrem Leben. Menschen, denen man die Mühen des Alltags anmerkt. Wieder anders ist es in Nordkorea: Der Militarismus des Staates prägt das Leben. Uniformen bestimmen das Bild.

Der Binnenstaat Laos ist das wohl am wenigsten bekannte Land, das der Fotograf in seinem Buch vorstellt. Armut und Rückständigkeit bestimmen noch heute das Bild, wie van Houtryve schreibt: „Nur wenige Länder ziehen geringere Aufmerksamkeit auf sich als Laos, und noch weniger bedienen sich immer noch eines derart geschickten und abstoßenden Überwachungssystems.“ Die Bilder erzählen davon, in oft dunklen Farben. Die Tristesse eines Wohnsilos in Vientiane, der Hauptstadt von Laos, kommunistische Gedenkstätten, an denen der Zahn der Zeit nagt, ein räudiger Hahnenkampf – die Fotografien in diesem Buch sind alles andere als aufregend-exotische Bilder fremder Kulturen.

Im Gegenteil: Der 1975 in San Francisco geborene Fotograf richtet seinen Fokus sehr bewusst auf die negativen Auswirkungen des politischen Systems. Lachende Menschen sieht man keine, nur einmal erlaubt der Fotograf eine Ausnahme: Mädchen der chinesischen „Young Communist League“ strahlen ihn an. Ansonsten dominieren düstere Szenen – wir begegnen Menschen inmitten von Mangel, Zerfall und Tristesse. Das Cover des Buchs ist dafür das beste Beispiel: Das Monument der Koreanischen Arbeiterpartei in Pjöngjang hat Tomas van Houtryve fotografiert, durch eine Gardine, die nur einen schmalen Spalt Sicht freigibt.

Es ist wohltuend, diese so anderen Bilder zu betrachten. Bilder eines Fotografen, der den Blick von den touristischen Reizen der besuchten Länder ganz abwendet. Das Buch ist eine sehr deutliche Abrechnung mit einer politischen Ideologie. In Nepal fotografiert er Demonstranten: ein leidendes, ausgebeutetes Volk. Auch China zeigt er nicht so, wie wir es in den vergangenen Jahren kennengelernt haben. Nicht als starke neue Wirtschaftsmacht – sondern als rückständiges, armes Land.

Es ist wichtig, den Postkartenidyllen Fotografien der sozialen Wirklichkeit entgegenzusetzen. Das gelingt dem Fotografen in einem Buch, das in gedeckten Farben „Geschlossene Gesellschaften“ vor Augen führt: eine fotografische Reise durch kommunistische Länder, die durch einen subjektiven Blick des Fotografen geprägt ist. Er verweigert sich Bilder-Klischees, doch auch seine Sicht ist nur eine Sicht auf die Dinge.

Wer einmal etwa in Vietnam unterwegs war, wird selbst ganz andere Bilder gesehen haben, als solche, die dieser Band vereinigt. Und wer durch Nepal reiste, wird kaum ein solches Leid erlebt haben, das der Fotograf hier zeigt. So beschreibt dieses Buch auch eine Reise, die zu einer Grundfrage des Fotografischen führt: Was ist wahr? Was ist die Realität? Darüber lässt sich anhand dieses Bandes trefflich diskutieren.

14.01.2013
Marc Peschke
Geschlossene Gesellschaften.Eine fotografische Reise durch kommunistische Länder. Fotograf: Houtryve, Tomas van. 288 S. 140 fb. Abb. 21 x 23 cm. Gb. Benteli Verlag, CH Sulgen 2012. EUR 46,00. CHF 58,00
ISBN 978-3-7165-1714-7
 
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