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Tempo, Tempo!. Eine Kulturgeschichte der Geschwindigkeit

Wohl kaum ein Medium zur technischen Erzeugung von Bildern hat das Bewußtsein für Zeitlichkeit im 19. Jh. mehr geschärft als die Fotografie. Sie war ähnlich der „Dampfmaschine Nutzbarmachung einer Naturkraft: des Lichts“ schreibt Andreas Braun in seiner Untersuchung über eine „Kunst- und Kulturgeschichte der Geschwindigkeit im 19. Jahrhundert“. Fürwahr, der Autor geht mit einem enormen Tempo an sein Werk.
Der Fotografie, deren paradoxe Zeitlichkeit die Fototheorie bis in die Gegenwart (etwa bei Roland Barthes, der nicht genannt wird) fasziniert, gewinnt der Autor jedoch kaum wirklich neue Perspektiven ab. Abschnitt für Abschnitt, Satz für Satz fügt Braun Fakten um Fakten aneinander – allein, eine stringente Argumentation, die seiner Untersuchung Struktur gäbe, fehlt. Ob Automobil, Eisenbahn, Nervosität, Großstadtverkehr, William Turner, Claude Monet, Weltausstellungen oder die Stromlinienform: was in den Blick des Autors gerät, geht im illustrierenden Malstrom einer verzeitlichten Gegenwart unter, bei der auch beispielsweise die rasch in den Text eingebauten Zitate aus Virilios Dromologie keinen Mehrwert an Sinn stiften. Die Schwäche dieses Buches ist der naive Glaube, dass die Fakten selbst sprechen könnten; der Autor verfügt kaum über eine selbstständige Reflexion einer beschleunigten Zeit als eigenständigem Kommunikationsmedium. Trotz 894 (!) Zitaten gelingt es ihm nicht, eine gegenwärtig gültige Theorie der beschleunigten Bild-Darstellung zu formulieren. Stattdessen beschreibt er akribisch den kleinsten Bildvordergrund (Schweine, Hühner, Gänse und Enten... ). Dass eben nicht die Bild-, Kultur- und Kunstgeschichte, sondern die Soziologie (insbesondere die Systemtheorie Niklas Luhmanns oder auch Norbert Elias´ „Über die Zeit“) entscheidende Erkenntnisse zur Geschwindigkeit, d.h. exakter zur Verzeitlichung von Komplexität erarbeitet hat, scheint dem Autor (ärgerlicherweise) völlig entgangen zu sein. Beeindruckend ist zwar die große Materialfülle; das an Selbstreflexion interessierte (Fach-)Publikum wird den äußerlich schön gestalteten Band wegen seiner fehlenden methodischen Durchdringung jedoch kaum schätzen. Schade – bei einem so spannenden Thema. Etwas Langsamkeit und Tiefe wäre mehr gewesen.
Michael Kröger
Braun, Andreas: Tempo, Tempo!. Eine Kulturgeschichte der Geschwindigkeit im 19. Jahrhundert. 2000.250 S.,50 Abb. - 28,5 × 22 cm. (Werkbund-Archiv 28) HC, DM 48,-
ISBN 3-87038-327-5
 
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