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Venedig - Abseits der Paläste

Farbige Fotografien von Venedig: hunderte Mal gesehen.
Hier: ein Fotoband zweier dem Schwarz-Weiß-Bild verpflichteter Fotografen, verpflichtet auch der Menschenleere des venezianischen frühen Morgens und späten Abends und der so fotografierten Leere, die fotografierten Objekte meist Häuser, Brücken, Kanäle und deren mit ins Bild genommene Doppelungen durch Schatten und Spiegelungen, Verzerrungen.
Gezeigt wird uns so eine Stadt jenseits aller (unserer) Klischees, anders und so gar nicht vertraut, melancholisch-schön, ein wenig morbide, eine sterbende Schöne von der wir Details gar nicht wissen möchten: wo jener im Kanal sich spiegelnde, bröckelnde Palazzo steht, jene alte Gasse mit den sie überspannenden Wäscheleinen, das szenisch ins Bild gesetzte pittoreske Parteilokal der Partito Socialistica Italiano mit den träge davor wartenden Männern – kaum sind in diesem Fotoband Menschen zu sehen und, außer dem Dogenpalast und San Marco, auch keine der bekannten Kirchen und Paläste. Venedig wird uns mit einem melancholischen Ausschließlichkeitsblick präsentiert, den Texte früherer Stadt-Besucher ebenso bestätigen wie Elke Heidenreichs sich melancholisch erinnerndes Vorwort, das auf diese Fotografien ebenso einstimmt wie sie ihnen ihren Rahmen gibt.

Zwar dominiert in diesem Fotoband die fotografierte Zeitlosigkeit in ihrer venezianischen Variante, das Fotografen-Reizwort „austauschbar“ drängt sich aber bei all jenen Fotografien auf, die nicht als stadtspezifisch auszumachen sind und überall in Südeuropa entstanden sein könnten. Geschuldet ist dies neben dem fast vollständigen Verzicht auf Venedigs kunsthistorisch wichtige Bauten auch dem Fotografen-Impetus, das fotografische Objekt nur dann als wichtig zu verstehen, wenn es die Kriterien von schwarz-weiß Doppelungen (Spiegelungen, Verzerrungen) oder Kontrasten (Schatten) erfüllt. Hinzu kommen das Fehlen jeglicher Bildlegenden und eine auch damit insinuierte Zeitlosigkeit, die auf den Betrachter distanzierend, ja fast kalt wirkt und durch die Abwesenheit von Menschen im Bild noch verstärkt wird. So lassen diese Fotografien des bewusst-melancholischen Blickes jene Sympathie und Wärme in der bildlichen Darstellung der Stadt vermissen, die den beiden Fotografen in ihrem „Lissabon“-Fotoband so eindrucksvoll gelungen ist. Denn dort spricht die Stadt (auch) durch ihre Menschen und nicht wie hier hauptsächlich durch ihre Steine die, so fotografiert, aus Melancholie gebacken zu sein scheinen – literarisch ein, wie wir wissen, ideales Feld für deutsche Dichter und englischsprachige Schriftsteller(innen).

Die melancholisch-fotografische Präsentation eines kunst-historisch entkernten Venedig ist ein möglicher Blick auf die Stadt, die ich auch kenne: das Venedig der gelassenen Freude, des Spieles miteinander, des Alleinseins in den Kerkern des Dogenpalastes, des jungen, lesenden Paares auf der Toteninsel, der sich am Vaporeretto schubsenden Menschen, der abendstillen Gespräche gegenüber der Einfahrt zum Arsenal - wo ist das Leben in Venedig in diesem Buch ?


23.08.2011
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Groothuis, Rainer; Lohfert, Christoph. Venedig. Beiträge von Heidenreich, Elke. 144 S. zahlr. Abb. in Duotone. 22 x 30 cm. Edel Germany, Hamburg 2010. Gb. EUR 36,00 CHF 56,90.
ISBN 978-3-8419-0073-9
 
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