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Industrie im Blick der Fotografen

Seit Anbeginn des fotografischen Mediums war die Industriefotografie ein wichtiger Teil der Bildproduktion. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wandten sich Fotografen – zumeist im Auftrag von Bauträgern oder Unternehmen – der Dokumentation von Industriebauten zu, lichteten den voranschreitenden Straßenbau ab, den Bau neuer Eisenbahnlinien, Brücken oder Fabriken.

Doch noch lange Jahre hatte die Fotografie ausschließlich einen dienenden Zweck, wie jetzt ein Katalogbuch darstellt: Sie dokumentierte, war ein Hilfsmittel für Architekten, ein Beleg für Bauherren. Schon früh spezialisieren sich Fotografen auf diesen Zweig, wie etwa der königliche Hoffotograf Franz Hanfstaengl, dessen Aufnahmen des Münchner Glaspalastes ein bekanntes Beispiel früher Industriefotografie sind.

Joseph Albert oder Georg Böttger waren weitere bedeutende Lichtbildner der Zeit, in der Schweiz dokumentiert etwa Adolphe Braun die Vollendung des St. Gotthard-Tunnels, die Veränderungen im alpinen Landschaftsbild in monumentalen, phantastischen Bildern. Doch zumeist wirken Industriefotografien des 19. Jahrhunderts nüchtern und sehr modern, wie auch noch jene Fotografien, die Heinrich Hauser in den späten 20er Jahren im Ruhrgebiet anfertigte.

Die neusachlichen Fotografien des 1901 in Berlin geborenen Hauser erschienen im Jahr 1928 unter dem Titel „Schwarzes Revier“. Hier zeigt er das Mit- und Gegeneinander von Technik und Umwelt, die Stahlskelette der Brücken, die Schleppzüge auf stillen Kanälen, die Zechen und Hütten, die Pferdekarren und Eisenbahnen, die Zersiedelung des Landes, die Hauser mit folgenden Worten beschreibt: „Oft ist die Veränderung des Pflasters das einzige Zeichen, dass hier eine Stadt aufhört und eine andere beginnt.“ Dazwischen: riesige Brachflächen mit Hochöfen, die Hauser zu tristgrauen Totalen komponiert. Auch Menschen zeigt Hauser, etwa die Schmelzer am Hochofen, die ihre Beine mit Lederstücken und Leinwand vor Verbrennungen schützen – oder die Industriearbeiter auf dem Weg zum Werk.

Hauser, der avancierte Vertreter des „Neuen Sehens“ ist heute fast vergessen, doch das Katalogbuch zur Ausstellung „Industriezeit“ erinnert an ihn. Unvergessen dagegen das Werk von Bernd und Hilla Becher, die ab 1959 Industriebauten des 19. und 20. Jahrhunderts systematisch fotografisch erfassen und eine ganze Schule ins Leben rufen. Einige Jahre zuvor war es August Sander, der weniger die Gebäude, als den Werktätigen selbst als Individuum vor Augen führte.

In der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders treten viele Fotografen ins Rampenlicht, die heute als Klassiker gelten: Thomas Höpker, Robert Lebeck oder Stefan Moses sind zu nennen, Peter Keetman auch, dessen Wolfsburger Bilder Ikonen der Industriefotografie geworden sind. Ihn interessieren serielle Strukturen, jene „Ästhetik des Seriellen“, die bis in die Gegenwart Fotografen fasziniert.

Bis heute spannt das im Wasmuth-Verlag erschienene Buch den Bogen und stellt etwa Jürgen Nefzger vor – oder auch Joachim Brohm, der ein gutes Beispiel dafür ist, wie eng die Industriefotografie mit Architektur- und Landschaftsfotografie verzahnt ist. In den vergangenen Jahren ist das Werk des 1955 geborenen Farbfotografen immer aufmerksamer verfolgt worden. Der heute in Leipzig lebenden Künstler gehörte in Deutschland zu den ersten Fotografen, welche Ende der 70er Jahre die Farbfotografie für sich entdeckten. Seine Vorbilder waren Amerikaner: William Eggleston, Bill Christenberry oder Stephen Shore. „IndustrieZEIT“ ist ein schöner Überblicks-Band zu einem eher selten bearbeiteten Thema – wer tiefer in das Werk der vorgestellten Fotografen blicken möchte, wird sich mit der umfangreichen monografischen Literatur befassen.

Die Ausstellung im MĂĽnchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1
80331 MĂĽnchen dauert noch bis zum 11. September 2011.
http://www.stadtmuseum-online.de/aktuell/industrie.html

27.05.2011
Marc Peschke
Pohlmann, Ulrich; Scheutle, Rudolf. Industriezeit. Fotografien von 1845–2010.Hrsg.: Münchner Stadtmuseum/Sammlung Fotografie. 2011. Deutsch. 180 S. 200 Abb. 30 x 24 cm. Gb. EUR 39,00. CHF 60,90
ISBN 978-3-8030-0738-4
 
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