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Candida Höfer - In Portugal

Candida Höfer war 2002 auf der „documenta“ vertreten, 2003 Mit-Repräsentantin Deutschlands bei der Biennale in Venedig. In ihren Fotografien dominieren die von ihren Lehrern Bernd und Hilla Becher übernommenen fotografischen Gestaltungsprinzipien der Zentralperspektive und Leere des Raumes, von ihr noch betont durch immer ausschließlich weiß und leicht verschwimmendes Kunst- oder Naturlicht. Alles Lebendige fehlt im Bild, ist abwesend: als Wärme verstandenes Licht, Subjekte ebenso wie deren Bewegungen, auch Raum-Details. So gesehen erinnern diese Fotografien an den fotografierten Blick eines Architekten der sechziger Jahre: sachlich-nüchtern, gerade, an der Grenze zum Kalten; eine generationsspezifische Architekturfotografie also.

Ihr Thema sind, so Literatur-Nobelpreisträger Jose Saramago in seinem einleitenden Text, „einige der berühmtesten und bedeutungsvollsten Gebäude Portugals“, beispielhafte öffentliche (überwiegend) und private (selten) Repräsentationssarchitektur also, die Innenräume von Theatern, Bibliotheken, Kirchen, Schlössern und Palästen in Lissabon/Sintra/Queluz, Porto und wenigen anderen Städten. Dabei lenkt der fotografische Impetus Höfers den Betrachter-Blick sehr schnell auf Gliederung und Struktur, also das Grundsätzliche des Raumes – und überzeugt so besonders bei der Präsentation moderner portugiesischer Innenräume wie dem 1998 erbauten Casino Lisboa oder dem nur wenig älteren Grande Autidorio do Centro Cultural de Belem in Lissabon, das die in diesem Band versammelten Fotografien 2006/2007 ausstellte.

Der architektur-fotografische Blick auf die räumliche Gesamtkomposition hin oder von dieser räumlichen Gesamtkonzeption her offenbart jedoch seine Grenzen dann sehr deutlich, wenn das konstruktive und plastisch-dekorative Raumelement gleichwertig erscheinen oder dieses Element gar dominiert, etwa im Barock. Dann legt sich wie im Palacio Nacional de Mafra ein weißer Schleier auf fast alle dekorativen Raum-Details, sodass alle barocke Ausdruckskraft hinter der kühlen Sechzigerjahresicht auf das Objekt verschwimmt, fast verschwindet. Das gilt auch für das Refektorium des –dort wurde 2005 der Vertrag von Lissabon unterzeichnet- spätgotisch-manuelischen Lissabonner Hieronymus-Klosters, wo weiße Lichtreflexe in fast symmetrischen Abständen Darstellungen auf Azuleijo-Kacheln ausblenden, diese Details unsichtbar machen, den Raum skelettieren, ihn in seine Struktur zu zerlegen scheinen.

Aber es gibt auch interessante Zwischentöne und zwar dann, wenn das Prinzip des fast allgegenwärtigen partiellen oder totalen Weißschleiers nicht dominiert. Die Bücherwand in der Bibliothek des unvollendet gebliebenen Ajuda-Palastes in Lissabon etwa, fotografiert mit einem Weißschleier nur im unteren, aber realitätsidentisch abgebildet im oberen Teil. Und, besonders eindrucksvoll, eine Aufnahme der dekorativ-holzverzierten Bücherwand im Distriktarchiv von Praga: hier verschwimmen keine Details, sie dominieren im Bild, sprechen mit der Wärme des Holzes zum Betrachter. Hier wird nicht nur der Raum gezeigt, sondern der Raum durch die ihn gestaltenden Elemente.

Es sind dies freilich auch Fotografien einer öffentlichen Bühne – denn welche Kirche, Bibliothek, welches Theater, Schloß, welcher Palast ist dies nicht auch? Höfers Bühne fehlen jedoch die Akteure, es dominiert die Leere, die von Jose Saramago empfundene literarisch korrespondierende Kategorie des Schweigens. So erinnern diese Fotografien, wir sind nun in den fünfziger Jahren, an ein Gefühl wie es sich etwa bei Becketts „Warten auf Godot“ einstellt: gezeigt wird eine Grenzsituation, zugleich ex anteriori und ex posteriori, was geschah hier, was wird in dieser Leere, diesem Schweigen, geschehen – wird etwas geschehen ? Es ist ein existentialistischer Grundzug, der diesen Fotografien eigen ist.

Candida Höfers Fotografien hinterlassen ein zwiespältiges Gefühl. Länger betrachtet, machen sie unsicher, stellen Realitätssichten in Frage. Und verweisen mit ihren Interpretationsmöglichkeiten auf jene Metaebene, in welcher „Kunst“ möglich wird und, wie hier, realisiert ist.

13.07.2010
Wolfgang Schmidt
Höfer, Candida .In Portugal Beitr.: Saramago, José; Rice, Shelley Englisch;Deutsch. 128 S. 30 x 24,5 cm Gb., Schirmer & Mosel, Münschen 2007. EUR 49,80
ISBN 978-3-8296-0279-2
 
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