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Weltberühmt und heiß begehrt. Möbel der Roentgen-Manufaktur

Der zweihundertste Todestag des großen Ebenisten David Roentgen wurde in mehreren Präsentationen gewürdigt. Hervorzuheben sind die Kataloge der Nürnberger und der Berliner Ausstellung. Die kleine aber exquisite Ausstellung „Weltberühmt und heiß begehrt“ des Germanischen Nationalmuseums würdigte vor allem vier Aspekte: Die ursprüngliche Farbigkeit der Einlegearbeiten, die ein wahrhaft rokokeskes Feuerwerk entfaltet haben müssen, die Vorlagenwerke für die Pflanzen- und Blumen-Intarsien, die verwendeten Hölzer und die ausgefeilte Mechanik der Roentgenschen Schreibmöbel, die in einer Simulation nachvollziehbar wurde. Zudem traten hier – ein Rarissimum – Roentgensche Sitzmöbel ins Blickfeld, die sonst so gut wie unbekannt sind. Es handelt sich um eine Gruppe von gepolsterten Stühlen, die Hans Huth einst aus dem Œuvre der Roentgens ausgeschieden und für Nachbauten der Zeit um 1830 erklärt hatte. Grund dafür war vor allem ihre kompakte Form, die bereits auf das „zweite Rokoko“ vorauszuweisen scheint. Die Kuratorin der Nürnberger Ausstellung reintegriert die Möbel in das Œuvre David Roentgens. Mir scheint mit guten Gründen. Der von Petra Krutisch verfasste kleine Katalog ist ein schönes Brevier und ein guter Einstieg ins Thema. Drei Schreibmöbel der markanten Werkphasen der Werkstatt Vater Abrahams und Sohn Davids stellt die Autorin zudem detailliert im Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 2005 (S. 151 – 72) vor, der ansonsten auch interessante Aufsätze unter anderem zu Altdorfer und Dürer enthält
Wer das Werk der Roentgens in seiner ganzen Breite studieren möchte, dem sei der von Achim Stiegel herausgegebene Begleitband zur Ausstellung des Kunstgewerbemuseums in Berlin empfohlen. Der Katalog würdigt sämtliche dem Museum gehörenden und gehört habenden Roentgen-Möbel, also auch Kriegsverluste, und stellt erstmals drei Hauptwerke der „Fabrique“ vor: die Schreibmöbel für Karl Alexander von Lothringen, Katharina die Große und Friedrich Wilhem II von Preußen. Diese drei Spitzenwerke werden zudem auf einer beiliegenden DVD in einem 38minütigen Film detailliert gezeigt, als „Maschinerien“ und „Miniatur-Architekturen“ vorgeführt in Bild und in Funktion. Hierbei ist die schrittweise erfolgende Aufblätterung der Funktionen besonders faszinierend. Hier wird der Anspruch auf Vollkommenheit deutlich, den diese sich Möbelmanufaktur handwerklich, mechanisch und ästhetisch auferlegte und den ihre Kunstwerke (als die sie auch von den Zeitgenossen schon und gehandelt wurden) auch heute noch einlösen. Das perfekte Zusammenspiel von Möbelarchitektur, Intarsie, Applik, Skulptur, Miniatur allein würde schon zu andauernder Bewunderung der Roentgen-Möbel Anlaß genug gegeben haben. Das Hinzutreten einer ausgeklügelten Mechanik macht diese Möbel zu Repräsentanten ihrer Zeit: Automaten zu sein und Monumente. Allein drei Konzerte waren auf dem Glockenspiel, das Friedrich Wilhelms Neuwieder Schreibschrank birgt, abrufbar. Und allein ein gutes Dutzend Funktionen mussten in Gang gesetzt werden, um den waagerechten Schub des Aufziehens einer Schreibtischschublade mit dem vertikalen Zug des gleichzeitigen Hochziehens des über ihr liegenden Halbzylinders zu koordinieren.
Dass Abraham Roentgen als Herrenhuter zeitweise vom Abendmahl ausgeschlossen wurde, weil er geschäftlich allzu erfolgreich war, mutet uns heute als ein Blick in eine ferne Welt an. Dass sein Sohn kurz vor dem Bankrott eine Möbellotterie veranstaltete und damit die Firma sanierte, erscheint dagegen wie ein Blick in die Zukunft.
Wem dabei Gelüste nach einem Roentgen-Möbel kommen: Der Band verzeichnet auch die gegenwärtig im Kunsthandel befindlichen Werke der Meister, allerdings ohne Preisangaben.

Weitere Publikationen:
Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg 2005. 288 S. mit zahlr. Abbn. € 33.- ISSN 1430-5496.

Achim Stiegel, Präzision und Hingabe. Möbelkunst von Abraham und David Roentgen.
Mit einem Vorwort von Angela Schönberger und Beiträgen von Burkhardt Göres. Kunstgewerbemuseum Berlin 2007. 176 S. mit zahlr. zumeist fb. Abb. und DVD von Fritz Barber. EUR 36, 00 (ISBN 978-3-88609-578-0).

Jörg Deuter
Krutisch, Petra: Weltberühmt und heiß begehrt. Möbel der Roentgen-Manufaktur in der Sammlung des Germanischen Nationalmuseums. 2007. 88 S., 87 fb. Abb. 21 x 20 cm. Pb Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 2007. EUR 10,00
ISBN 3-936688-25-7
 
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