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Der Crac des Chevaliers

Der Crac des Chevaliers in Syrien gilt unter den vielen während der Kreuzzüge von den Europäern im Nahen Osten erbauten Burgen als die Festung der Kreuzfahrer schlechthin. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch ein Dorf überbaut, aber während der französischen Mandatsherrschaft nach dem Ersten Weltkrieg wieder freigelegt, schien der Crac seit den 1934 publizierten Untersuchungen von Paul Deschamps und François Anus über Jahrzehnte hinweg als im Grunde abschließend erforscht. Trotz der unbestreitbar großen Verdienste dieser beiden Männer kann davon bei näherem Hinsehen jedoch keine Rede sein, wie die nun veröffentlichten Arbeitsergebnisse einer Gruppe deutscher Forscher um Thomas Biller zeigt, die zu einem neuen Gesamtbild der Burg führen, und zwar sowohl in Bezug auf die formale und funktionale Interpretation der Bauphasen als auch im Hinblick auf die Datierung.

Als Ordensburg der Johanniter war der Crac des Chevaliers nicht nur dem Kampf gegen die Muslime verpflichtet, sondern auch dem mönchischen Ideal. Die Anordnung von Kapelle, Dormitorium, Kapitelsaal und Räumen für den Kommandanten lässt das klösterliche Vorbild erkennen, auch wenn charakteristische Merkmale wie vor allem ein Kreuzgang fehlen.

Die ursprüngliche, wohl schon sehr große Burg wurde im Jahre 1031, also lange vor dem Ersten Kreuzzug, durch den Emir von Homs erbaut. 1109 fiel sie in christliche Hand und gelangte 1142 in den Besitz der Johanniter. Die Zerstörung durch das schwere syrische Erdbeben von 1170 hatte in den Jahren 1170-1180 den Bau einer neuen, in technischer Qualität und Anlage sehr anspruchsvollen Burg zur Folge.

Wahrscheinlich im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts begann der sein heutiges Aussehen prägende Ausbau des Crac. In dieser Bauphase wurde zum Einen die Südseite der Kernburg durch drei neue, auf den Erdgeschossen ihrer drei Vorgänger errichtete Türme und durch einen hohen, aus dem Ringgraben aufsteigenden Schrägsockel aus Quadern, den Talus, ausgebaut und zum Anderen die Vorburg und die südlichen Vorwerke zu einem allseitig geschlossenen äußeren Zwinger ergänzt. Dadurch verfügte der Crac über ein konzentrisches Verteidigungssystem, das auf allen Seiten fast gleich stark ausgebildet war. Die Angriffsseite im Süden wurde zusätzlich durch ein Vorwerk gesichert, dessen Ausbau jedoch offenbar unvollendet blieb. Zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit setzte man nicht etwa allein auf die Verdoppelung und Verdreifachung der immer dickeren und höheren Mauern, sondern auch auf runde, aus der Mauer vorspringende Türme (die eine geringere Angriffsfläche für Geschosse und eine verbesserte Flankierung boten), auf frontal und flankierend wirkende Schießscharten und auf Erker zur Sicherung des Mauerfußes.

Für eine Mitwirkung armenischer Planer und Arbeiter im 13. Jahrhundert sprechen mehrere Indizien, beispielsweise die U-Form der Türme mit rechteckigen Innenräumen sowie Einzelheiten des Steinschnitts. Überhaupt ist das vorliegende Buch nicht nur in Bezug auf die Geschichte des Wehrbaus, sondern auch kulturgeschichtlich von erheblichem Interesse. Wichtige Erkenntnisse zum Leben auf dieser großen Burg liefern die Beobachtungen und Ausführungen zu den Wasserspeichern und Wasserleitungen sowie zur Fäkalienbeseitigung, einer Thematik, der in der bisherigen Burgenforschung nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Sehr aufschlussreich ist nicht zuletzt die Identifizierung bzw. Interpretation der relativ zahlreichen Aborte. Weitere Untersuchungen werden zu klären haben, ob das Konzept der Wasserversorgung und Unratentsorgung auf dem Crac einzigartig ist oder in der damaligen Zeit Parallelen hat. Kulturgeschichtlich bezeichnend scheint der Umstand zu sein, dass der Crac erst im Zuge der Umbauten durch die Mamluken ein Bad erhielt. Abgesehen davon, fehlten der Burg im 12. Jahrhundert auch eine Küche und ein Speisesaal. Noch unklar ist die Lage der Getreidelager.

Auf seinem von vielen Eroberungen begleiteten Nordsyrien-Feldzug von 1188 verzichtete Sultan Saladin darauf, den Crac des Chevaliers anzugreifen, nachdem er sich persönlich ein Bild von der Stärke der Burg gemacht hatte, und ließ auch kein Belagerungscorps zurück, weil er offenbar nicht hoffte, die Besatzung in absehbarer Zeit durch dauerhafte Blockade zur Übergabe zwingen zu können. Erst 1271 gelang dem Mamlukensultan Baibars die Einnahme des Crac. Im Unterschied zu den von den Mamluken eroberten Hafenstädten ließ Baibars die Festung jedoch nicht zerstören, sondern befahl deren weiteren Ausbau, der unter seinen Nachfolgern fortgesetzt wurde.

Das von Thomas Biller herausgegebene Buch ist in 21 Kapitel gegliedert. Von den insgesamt acht Autoren sind sieben an mehreren Kapiteln beteiligt, an mehr als der Hälfte Thomas Biller selbst. Das Buch besticht nicht nur durch ausgezeichnete Abbildungen und Pläne, sondern vor allem durch sehr detaillierte Beschreibungen und genaue Beobachtungen, aus denen sich eine Fülle einleuchtender Schlüsse ergibt. Allerdings enthält die im 1. Kapitel gegebene Einführung in die Geschichte der Kreuzzüge und Kreuzfahrerstaaten eine Reihe falscher Angaben, Ungenauigkeiten und problematischer Äußerungen. Auch zeigen sich die Autoren mit arabischen Namen und Begriffen in Bezug auf Umschrift, Singular, Plural und Genus wenig vertraut. Diese kleinen Schwächen vermögen dem hohen Wert des Buches jedoch keinen Abbruch zu tun.
Hannes Möhring
Der Crac des Chevaliers. Die Baugeschichte einer Ordensburg der Kreuzfahrerzeit. [Syrien] Von Biller, Thomas /Burger, Daniel/ Grossmann, G Ulrich /Häffner, Hans H /Meyer, Werner /Boscardin, M Letizia /Radt, Timm /Schmitt, Reinhard. Ill. v. Zimmer,John. Redakt.: Biller, Thomas. 396 S., 270 sw. u. 37 fb. Abb., zahlr. Zeichn. u. Planbeil. 30 x 22 cm. Gb Schnell & Steiner, Regensburg 2006. EUR 86,00
ISBN 3-7954-1810-0   [Schnell & Steiner]
 
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