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Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden

Dass der politische Wettersturz 1989 die Forschung auch zur Kunst Ost- und Mitteleuropa durch Öffnung der Archive beleben würde, hofften Wissenschaftler und so geschah es auch. Auch auf dem Gebiet der Zusammenarbeit fand eine Belebung statt. Mit Karls IV. (1316-1378) steht, wie eine Umfrage ergab 2005 ergab, die bekannteste Persönlichkeit Tschechiens, aus dem Westen, aus Luxemburg, zur wissenschaftlichen Debatte. Mit ihm wird der Aufstieg Prag und Böhmens, das im 14. Jahrhundert zu einem der reichsten Länder Europas zählte, verbunden, die Karlsbrücke ist eine Sehenswürdigkeit. Seine Stellung im Mittelalter beruhte auf einer geschlossenen Hausmacht, die das heute Gebiet Luxemburgs (ab 1354 Herzogtum), Böhmen und die Kurmark Brandenburg, die er 1373 erwarb, umfasste.

Der Katalog, herausgegeben von Jiří Fajt, legt neueste Forschungsergebnisse einer internationalen Expertengruppe vor und basiert auf einer überarbeiteten und ergänzten Version des Ausstellungskatalogs "Prague - The Crown of Bohemia 1347-1437). In New York fand die Ausstellung im Metropolitan Museum of Art vom 20.9.2005 bis 3.1.2006 statt. Konzeptionell wollte man vorschnelle nationalstaatlich ausgerichtete Typisierungen der damaligen Kunst vermeiden. Eine Rückprojektion heutiger nationalstaatlicher Grenzen auf die damalige Zeit läuft immer Gefahr einer retrospektiven Homogenisierung der Kunst, die dann als Nationalstil ausgegeben werden könnte. Es ist bekannt, dass die mittelalterlichen politischen Ordnungsgefüge multiethnisch zusammengesetzt waren und so eine wechselweise Beeinflussung der Kulturen stattfand.

Die zweite konzeptionelle Entscheidung wird in der Einführung genannt. Selbstredend, darauf spielt Fajt an, diente die Kunst Repräsentationszwecken. Sie illustriert aber nicht nur historische Ereignisse, sondern soll als "autonome historische Quelle eigenen Rechts" gesehen wird. Die dritte Entscheidung betrifft die Auswahl der Objekte. Einerseits greift die Ausstellung geographisch weit aus, noch weiter griff nur die Parler-Ausstellung von 1978, im Zentrum die in halb Europa tätige Baumeister- und Steinmetzfamilie der Parler, andererseits beschränkte man sich auf die Darstellung der Geschichte der Kunstproduktion unter der Herrschaft von drei Generationen des Hauses Luxemburg von 1310 bis 1437. Im Zentrum aber steht Karl IV., nicht nur ein politisches Schwergewicht, er war seit 1346 König von Böhmen und seit 1355 deutsch-römischer Kaiser, sondern auch im Bereich der Kunst. Er, das ist im tschechischen kollektiven Gedächtnis verankert, machte Prag zur Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches und zu einem kulturellen Zentrum Europas. Sein kosmopolitischer Hof zog Künstler aus allen Teilen Europas an, aber nur die Besten, ausgewählt von Karl IV., durften bleiben.

Die Kenner überraschte nicht, dass Fajt im Vorwort als Kritiker vorschneller homogenisierende Tendenzen eines Nationalstils auftritt. Bereits 2001, anläßlich des internationalen Parler-Symposions in Schwäbisch Gmünd, legte er, zusammen mit Stefan Roller, neue For-schungsergebnisse vor. Insgesamt wurde der Beitrag der Parler, bislang die überragenden Figuren des sogenannten "Schönen Stils" (1350-1400) durch neue Datierungen relativiert. Damit war der Weg frei für eine Betrachtung dieser Epoche, die auf größere Differenzierung stilistischer Elemente achtet, wichtige Werke, anders als bisher angenommen, wurden ohne die Parler begonnen. Insofern führt Fajt mit dieser Konzeption von Ausstellung und Katalog, den eingeschlagenen Weg weiter. Gegliedert wurde, entlang der Herrschaftszeiten von Karl, Wenzel und Sigismund, ein Kapitel befaßt sich mit Prag, daran schließen sich Ausführungen zu den Ländern der böhmischen Krone, Mähren, Schlesien, die Oberpfalz und die Lausitz mit der Mark Brandenburg an um dann den Blick nach außen ins Heilige Römische Reich zu werfen. Der Beitrag von Gerhard Schmidt fällt aus diesem Raster heraus, da er nochmals, wir befinden uns zur Zeit König Wenzels IV. (1378-1419) auf den kunsthistorischen Gesamtzusammenhang rekurriert und dabei vor allem auf Transferleistungen Wert legt. So kam die vereinheitlichende Kunstsprache an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert nicht durch po-litisch Hegemonie zustande, sondern entwickelte sich durch wechselseitigen Austausch von Ideen "verschiedenen Ursprungs", die letztlich zu ähnlichen Resultaten in verschiedenen Ländern führte. Üblicherweise wird dieser Stil als "Internationaler Stil" oder "Internationale Gotik" bezeichnet, ohne jedoch zu einer vollständigen Vereinheitlichung zu führen. Stilistische Abwandlungen waren die Regel, die sich, noch kleinräumiger, auch regional ausdifferenzieren konnten. Im Fall von Böhmen macht das Schmidt an drei Hauptelementen fest: "bewußte Vernachlässigung der Raumdimension zugunsten einer dekorativen Strukturierung der Fläche", ferner "hochgradige Autonomie linearer Gestaltungselemente" und "spürbare Zurückhaltung bei der Wiedergabe dramatischer Situationen oder starker Gefühle." Auch im Hinblick auf die künstlerische Bearbeitung primärer mittelalterlicher Stoffe, die auch düstere und tragische Momente einschließt, ergibt sich, dass auch sie in ein freundlicheres Licht getaucht wurden. In krassem Verhältnis dazu steht die politisch-geistliche Lage. Schmidt erinnert an die Schwächung der Kirche durch das Große Schisma (1378-1429). Zwei Päpste, einer in Rom und einer in Avignon bekämpfen sich gegenseitig und in Böhmen macht der Frühreformator Jan Hus Front gegen Traditionen der katholischen Kirche. Zusätzlich überlagert werden die geistlichen durch soziale Gegensätze von Tschechen und Deutschen, die sich ins Politi-sche, Stimmrechte nach ethnischer Zugehörigkeit zugunsten der Tschechen, an der Universität, verlagern. Wie auch in anderen Kapiteln, nach dem Essay folgt stets ein reich bebilderter Katalog mit vorzüglichen Abbildungen und umfänglichen Anmerkungen.

Mit einem Kapitel zu Sigismund, der seinen Halbbruder Wenzel absetzte, endet die Rundreise zur Herrschaft der Luxemburger in Böhmen. Auch hier, neue Ergebnisse. Bedingt durch lange Abwesenheiten, wurde der Einfluß Sigismunds auf die Kunst im Reich lang unterschätzt. Dessen Rolle blättert der Beitrag von Wilfried Franzen auf. Bedeutsam hier, in die Zeit Sigismunds fällt das Konstanzer Konzil (1414-1418), das bekanntlich mit der Verurteilung von Jan Hus, der öffentlich verbrannt wird, endet. Innenpolitisch waren die Luxemburger, die Anhänger von Hus machten schon gegen Wenzel mobil, geschwächt, ab 1419 stand für Sigismund deshalb die Bekämpfung der hussitischen Unruhen ganz oben auf der politischen Agenda, aber auch im Bereich der Kunst war er aktiv. So vergab er während des Konzils wichtige Aufträge an örtliche Maler, die vor allem luxemburgische Heilige, darzustellen hatten. Er wertete zudem Nürnberg, die Stadt die schon unter Karl IV. und Wenzel reich mit Stiftungen bedacht worden war, auf und verbrachte die Reichskleinodien in die reichsstädtische Obhut. Insgesamt aber, so Franzen, war Sigismunds Regierungszeit in Böhmen zu kurz, um eine wirkliche Hofkunst etablieren zu können.

Insgesamt zeichnet die Beiträge eine verständliche Sprache zu einem spannenden Kapitel in Europas Mitte aus, das viele Facetten besitzt und durch hervorragendes Bildmaterial anschaulich wird. Schließlich, ganz am Ende, noch Hinweise wie es politisch weiterging. Ganz üblich, durch kluge Heiratspolitik, Sigismund, ohne männlichen Erben, verlobte seine nur zweijährige Tochter mit dem Habsburger Albrecht V., wurden politische Weichen gestellt. Die Habsburger Herrschaft über Böhmen und Mähren aber ist ein neues Kapitel. Auch an sie dürften die Böhmen und Mähren nicht nur gute Erinnerungen haben. Welchen kulturellen Gewinn die Wende 1989 abwirft, zeigt sich nicht zuletzt am Leihgeberverzeichnis, zahlreiche Gaben kommen aus Osteuropa. Zumindest im Kunsthistorischen wächst Europa zusammen, auch das ein gutes Ergebnis.
Sigrid Gaisreiter
Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation des Hauses Luxemburg 1347-1437. Katalog zur Ausstellung auf der Prager Burg vom 16. Februar bis21. Mai 2006. Hrsg.: Fajit, Jiri. Mitherausgeber: Hörsch, Markus /Langer, Andrea. 640 S., 687 fb. Abb. 30 x 23 cm. Ln. Deutscher Kunstverlag, München 2006. EUR 78,00
ISBN 3-422-06598-9
 
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