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Michael Willmann

Das hier angezeigte umfangreiche Buch, an der Freien Universität als kunsthistorische Dissertation vorgelegt, ist einem eher wenig bekannten Künstler und einer noch weniger geläufigen Thematik gewidmet. Darüber hinaus handelt es sich um Malereien im schlesischen Kloster Grüssau, das durch die Nachkriegsereignisse an Polen gefallen ist, - also in gewissem Sinne auch um ein Politicum. In den Jahren 1693 bis 1695 wurde dort eine dem hl. Joseph, dem Nährvater Jesu geweihte Kirche mit einem bilderreichen Zyklus ausgestattet. Es war eine Initiative des damaligen Abtes Bernardus Rosa, der als großer Verehrer des Heiligen auch für das vom Künstler verwirklichte Bildprogramm verantwortlich gewesen sein dürfte. Der Vorgang ist nicht nur kunsthistorisch, sondern vor allem zeitgeschichtlich von Bedeutung, weil er eingeordnet werden kann in die damaligen Bemühungen um die Wiedergewinnung der weitgehend an die neue reformatorische Lehre verlorene Bevölkerung für den katholischen Glauben.
Die Bestrebungen des Abtes, über ein bildtheologisch wohldurchdachtes künstlerisches Medium angelegt und mit intensiven pastoralen Tätigkeiten begleitet, wurden nicht zuletzt mitgetragen von einer Josephs-Bruderschaft, die im Umkreis des Klosters mehrere tausend Mitglieder zählte, gleichsam der soziologische Hintergrund der künstlerischen Arbeit. Dahinter ist darüber hinaus das vom habsburgischen politischen Regiment des Landes getragene Interesse an einer einheitlichen religiösen Ausrichtung der Bevölkerung, als "pietas austriaca" zu begreifen.
Von diesen Prämissen ausgehend, unternimmt der Verfasser den Versuch, den Freskenzyklus der Grüssauer Josephskirche als "Gesamtkunstwerk" zu würdigen. In einführenden Kapiteln werden zunächst die Persönlichkeiten des Künstlers und des Auftraggebers vorgestellt, ferner die Mitwirkung von Schülern und Werkstatt bei der Ausführung. Wichtig ist nicht zuletzt die Charakterisierung der gestalterischen Systematik im Kirchengebäude. Das eigentliche Anliegen des Buches jedoch wird in den Kapiteln über "Ikonographie und Ikonologie" des Grüssauer Josephszyklus' erfasst. Das genealogische Schema der Ahnenreihe Christi, - seine "consanguinitas" - , bietet in Übereinstimmung mit der architektonischen Struktur des Gotteshauses die Grundlage für die Ordnung der zahlreichen, in gemalten Akanthuseinfassungen gerahmten Einzelbilder.

Darüber hinaus sind in parallelen Bildreihen die Motive der "Schmerzen" und der "Freuden" des Heiligen dargestellt, - Zyklen, die von Vorbildern aus der mariologischen Ikonographie inspiriert sind, mit entsprechenden Texten aus der damals sehr verbreiteten Andachtsliteratur zur Josephsverehrung. Im übrigen sollte hervorgehoben werden, wie selten vergleichbare Zyklen zur josephischen Thematik in der Zeit sind: als bescheidenere Parallele mag ein Josephs-Zyklus in Kloster Lilienfeld genannt werden. Schließlich ist dabei ein neues, wertschätzendes Verständnis der Gestalt des Heiligen festzuhalten: der "tumbe Greis", wie in Darstellungen des späteren Mittelalters, wird zum mutigen "custos" der Jungfräulichkeit Mariens und zum tatkräftigen "nutritor" (Ernährer) des Jesusknaben, bedeutungsvoll innerhalb des göttlichen Heilswerkes und damit von neuer Wichtigkeit als Fürbitter der Gläubigen, - Zusammenhänge, vom Verfasser mit einsichtiger Nutzung der Literatur dargeboten, gipfelnd in der Vorstellung der Hl. Familie Jesus- Maria- Joseph als "Trinitas terrestris", d.h. geschaffene Dreifaltigkeit in Analogie zur göttlichen Trinität im Himmel und damit im ekklesiologischen Sinne als Modell der Kirche.

Die stilistischen Probleme der Kunst Willmanns, die den formal- kunsthistorisch Interessierten besonders angehen, werden erst gegen Ende des Buches erörtert, - Fragen zur malerischen Tech-nik, zu Farbgebung, Komposition und Ausdruck. Von Belang ist dabei nicht zuletzt die Stellung des Malers im übernationalen Geflecht künstlerischer Beziehungen zwischen Schlesien, Böhmen- Mähren, Italien, den Niederlanden und, hinsichtlich der malerischen Ausgestaltung des Kirchenraumes und seiner Struktur, mit dem süddeutschen Barock. Dazu kann die reiche Bebilderung des Bandes als nützlich hervorgehoben werden, wenngleich die recht kleinen Bildformate Vergleiche nicht erleichtern. Allerdings sollte die Bedeutung Willmanns im europäischen Rahmen nicht zu hoch bewertet werden. Ein lehrhaft deskriptiver Charakter seines Schaffens dürfte höher zu veranschlagen sein als der künstlerisch-ästhetische Rang.

Das besprochene Buch ist als Erstlingswerk des Verf. von bemerkenswerter Geschlossenheit und Reife. Nur scheinbar verbleibt die Würdigung der josephischen Ikonographie im schlesischlokalen Bereich. Ungeachtet mancher, charakteristisch "dissertationsbedingter", übertriebenen Bemühungen um Einzelnes bzw. um Vollständigkeit bietet die Arbeit ein vorzügliches Exemplum für die Beziehungen zwischen Religionspolitik und Kunst im nachreformatorischen Jahrhundert, darüber hinaus ein lehrreiches Kompendium josephischer Ikonographie.
Hervorgehoben sei der Dank des Verf. an polnische Kollegen und Dienststellen. Ein wichtiges Kapitel des Buches in polnischer Übersetzung ist dem Bande beigefügt.

Victor H. Elbern
Grimkowski, Rüdiger: Michael Willmann. Barockmaler im Dienst der katholischen Konfessionalisierung. Der Grüssauer Josephszyklus. 550 S., 298 sw. u. 27 fb. Abb., 325 z.T. fb. Abb. 26 x 18 cm. Gb. Weißensee Verlag, Berlin 2005. EUR 120,-
ISBN 3-89998-050-6
 
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